Interview mit Norbert Potthoff

Um Gottes Willen – Ethik

Transkript des TV-N24 Interviews mit einem Aussteiger der Scientology-Sekte

vom Sonntag, 6. April 2008

Mit der freundlichen Genehmigung zur Veröffentlichung auf meiner Webseite von Norbert Potthoff

The english translation from this Interview is here


Wer kennt sie nicht, die Schauergeschichten rund um Scientology? Norbert Potthoff ist ein Insider auf diesem Gebiet. Anfang der 80er Jahre wurde der nun 59 Jährige Mitglied. Schon nach kürzester Zeit war der gelernte Fotograf und Werbefachmann in der Maschinerie der Organisation gefangen.

Scientology: "Es ist der natürliche Wunsch des Menschen, besser zu werden"

Scientology war 7 Jahre lang Norbert Potthoffs Leben. Schon nach kürzester Zeit war der gelernte Fotograf und Werbefachmann in der Maschinerie der Organisation gefangen: "Wenn man erstmal in Kontakt mit Scientology gekommen ist, hat man keine Zeit mehr zu überlegen, denn die Manipulationstechniken greifen rasant schnell." Erst als er nach Jahren seine eigene Frau bespitzeln sollte, wurde Norbert Potthoff nachdenklich und entschloss sich zum Ausstieg.


Herzlich Willkommen, Norbert Potthoff. Sie sind bei den Scientologen ausgestiegen, nachdem Sie 7 Jahre dort Mitglied waren. Wie sind Sie denn da reingekommen?

Reingekommen bin ich eigentlich über den natürlichen Wunsch des Menschen, besser zu werden. Mit 17-18 war ich des Glaubens müde und bin aus der Kirche ausgetreten. Von da an galt der Mensch für mich als Mass aller Dinge und genau auf dieser Ebene haben mir Bekannte – ich war damals bei einer Werbeagentur – eben diese neue Philosophie, Scientology, angeboten. Das klang damals sehr verlockend.


Was war das Verlockende für Sie da dran?

An sich arbeiten können, Schwachstellen abbauen. Der Punkt ist, Scientologen spielen gerne mit ambitionierten Menschen. Jemand der keine Lust hat, besser zu werden, ist uninteressant. Also Menschen, die immer an sich arbeiten möchten, die ehrgeizig sind, sind dann leichter zu fangen, und ich gehörte dazu.


Ist das für Sie auch ein kirchliches Thema gewesen? Das hätten Sie bei der Kirche doch auch finden können, oder? Besser werden wollen wir doch alle!

Mit 17-18 hatte ich meine Pfadfinderzeit hinter mir, das war die 68er Generation, da haben wir uns um das Familiäre, um das Sorgen in der Kirche, Geheimnisse gekümmert. Wir hatten ganz andere Dinge im Blick, nämlich die grosse Welt und Frieden in Vietnam und andere Sachen. Und da hatten wir keinen Zugang zum Glauben mehr.


Der erste Schritt zu den Scientologen, wie sieht der aus wenn man da so reinkommt? Wird man da in so einem Raum geführt in dem stehen Scientologen oder wie läuft das?

Nein, das nannte sich damals "College für angewandte Philosophie", also viel harmloser. Und zum anderen, das Wort "Scientology" war damals relativ unbekannt, das war 1981, tauchte kaum oder gar nicht in den Medien auf, und war nur irgendwelchen Insidern bekannt. Das Angebot, das mir gemacht wurde, war ein Kommunikationstraining. Ich war Kommunikationsdesigner und wollte in meinem Beruf weiter vorankommen und mit verbesserter Kommunikation, so wurde versprochen, sei das leicht möglich. Und der erste Berührungspunkt in diesem College war dann ein nettes, ordentliches Büro, eine freundlich schauende Dame und ein herzliches Willkommen und es war alles hoch wissenschaftlich. Als erstes musste ich einen Test machen, einen Persönlichkeitstest über 200 Fragen, um Stärken und Schwächen ausfindig zu machen. Denn man wollte ja gezielt arbeiten und nicht einfach so in Blaue hinein. Auch das schien mir damals so logisch und auch sehr vernünftig, wie das vorgetragen wurde und insofern war ich völlig arglos.


Dann haben sie praktisch an Sitzungen teilgenommen, die sich "Auditings" nennen. Was ist das, kommt es von "audire" – hören? Kommt man damit in so eine Kommission, wo man was erzählen muss, oder wie läuft das?

Nein, das Auditing ist ein Verhaltenstraining, bei den Scientologen, das beginnt mit dem Kommunikationstraining. Man muss üben, in der Gegenwart zu sein, sagen die. Dazu übt man 2 Stunden dem anderen unverwandt in die Augen zu schauen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Und das ist eine Konzentrationsübung auf höchstem Niveau, hat aber einen entscheidenden Haken: Dieses Training ist eine äusserste Stressbelastung und führt zum Anstieg körpereigener Hormone. Man bekommt Schwindelanfälle, Halluzinationen, bis hin zu Ohnmachtsanfällen und man ist dann auf Endorphinen, auf einem glückseligen Niveau. Und das gaukelt dann einem eine ungeheure Freiheit vor, eine Macht, das man von nun an, oder wenn man in diesem Zustand ist, überhaupt keine Angst mehr hat. Keine Angst mehr vor Geschäftsleuten, die unangenehme Fragen stellen, oder Honorarforderungen, die mir immer peinlich waren, und solche Dinge. Ist klar, wenn man ein paar Drogen drin hat, fühlt sich einiges leichter an, aber die Tücke ist eben, dass man auch über körpereigene Drogen abhängig werden kann. Das wusste ich nicht.


Ist man schon nach 2-3 Sitzungen so high, dass man dann bricht mit seiner Frau wie sie dann getan haben? Sie haben ja mit ihrem ganzen Umfeld gebrochen.

Nicht unbedingt nach der ersten oder zweiten Woche. Es hat sieben Wochen gedauert, (Q: Da waren Sie süchtig danach?) es geht ziemlich schnell. Das ist das Verblüffende und ich hab dann immer wieder geraten, man hat keine Zeit, wenn man hört, jemand ist in den Kontakt geraten, in die Manipulationstechnik, die greift rasend schnell und man sollte nicht nachgeben... gegen die Pumpe laufen, das wäre sehr tragisch. Deshalb so früh wie möglich helfen und eingreifen, denn sonst ist es fast nicht mehr möglich.


Sie sind nach 7 Wochen dann soweit gewesen, dass Sie dann gesagt haben, "Jetzt will ich sozusagen dabei sein, bei diesen Leuten"? Ist das so, dass man das Gefühl hat "Jetzt will ich bei dieser neuen Gruppe dabei sein"? Und das ist dann der Grund warum man abbricht mit der Vergangenheit? Sie haben ja dann die Ehe verlassen, Sie haben den Freundeskreis verlassen, haben sie dann neue Freunde gefunden?

Das erste Mal war es anders. Ich bekam eine ungeheure Bestätigung im Freundeskreis, unter Geschäftsfreunden, bei Kunden, die plötzlich merkten, mein Auftreten ist klarer, selbstbewusster, und das steht im krassen Gegensatz zu den Zielen meiner Frau, die eher verträumt war, ihre Faulheit liebte und sich damals gar nicht zu schätzen wusste. Dass Faulsein auch glücklich machen kann und zum glücklichen Leben gehört. Nicht immer faul, aber ab und zu. Sie hat also das richtige Mass für sich gefunden, aber mir war es suspekt. Meine Bestätigung kam als mir die Kunden "das ist ja unglaublich, wie du dich verändert hast....Ganz toll!" Und Bestätigung ist das, was einen weitermachen lässt. Und dann ging es ziemlich schnell. Die Veränderung in Gestik, in Sprache fiel dann auch meinen Freunden auf, sie zogen sich zurück...


Was hat sich da verändert?

Ich muss wohl ein Stück weit fanatisch geworden sein, dass ich jetzt Andere überzeugen wollte... "Schau mal, mir geht’s gut. Ich möchte, dass es dir auch gut geht." Das ist also der nächste Effekt, den die Scientologen anstreben, dass man für die Organisation Andere anwirbt. Das ist also deine Pflichtaufgabe. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich also schon mitten in einer Missionierungsphase sozusagen war, hätte das auch damals strikt geleugnet, wenn das jemand behauptet hätte. Aber es war wohl so. Und die Folge war, dass ich den bürgerlichen Kontakt in Krefeld verlor und als Trotzreaktion bin ich dann ganz in die Gruppe reingegangen.


Haben Sie dann eine Karriereleiter ein Stück erklommen?

Ich hab meine Karriere als Graphikdesigner, als Werbefachmann dann in der Scientology-Organisation gesucht und auch erst einmal gefunden.


Und diese Karriere ist dann einmal fachlich, dass man sich fortbildet, aber dann auch geistig oder trainigsmässig oder wird man Lehrer oder was heisst das "Man macht eine Lehre in Scientology"?

Die Karriere ist: man produziert. Das ist das A und O des scientologischen Systems, dass man effektiv produziert. Ein Schlagwort des Gründers Hubbard als: "produce, produce, produce", das ist alles, was zählt. Und...


Das ist ganz modern für die Wirtschaft.

Natürlich, das ist auch das, was Scientology heute noch in vielen Bereichen attraktiv erscheinen lässt, weil das Wirtschaftssystem ähnlich funktioniert – ich will nicht sagen "gleich", aber in gewisser Hinsicht ähnlich – und auch in der Wirtschaft die "slow machine", der Mensch als Maschine gesehen wird, als Humankapital, das es auszubeuten und zu nutzen gilt. Also da gibt es fatale Berührungspunkte zwischen moderne Wirtschaft, Kapitalismus und Scientology. Und in meinem Fall war es so, dass ich durch meine Fachkenntnisse im Bereich Marketing, Public Relation, Webestratgien, Anwerben neuer Leute, Aufbau neuer Gruppen äusserst erfolgreich war. Und das führte dann zu einer Beförderung im System. Geistige Weiterentwicklung fand natürlich nicht statt, ich wurde nur dressiert, ohne es zu merken.


Dieses "produce, produce, produce", was steckt dahinter? Ist der Mensch laut dieser Scientology-Lehre jemand, der nur einer ist, wenn er was geleistet hat? Das wäre ja ganz im Gegensatz zu dem abendländischen Menschenbild, wo wir von Gnade sprechen, der Mensch ist auch etwas wert an sich, er ist auch dann wertvoll, wenn er nicht etwas leisten kann. Ist das so, das so, dass dann dort in der Lehre etwas drinsteckt "Du bist nur etwas, wenn du etwas geleistet hast"?

Ich will’s mal an einem Beispiel deutlich machen: die Scientology-Organisation, die sich in Teilen auch "Kirche" nennt, verweist auf Kirchenthesen. Unter anderem heisst es da "Wir von der Kirche glauben, dass der Mensch grundlegend gut ist". Das hört sich erstmal schön an. Wenn man aber die Sprache der Scientologen kennt, dann weiss man, das Wort "Kirche" heisst intern "Technologiezentrum", "Mensch" heisst intern "Maschine", "gut sein" heisst intern "produktiv sein". Wenn man also diesen Satz korrekt übersetzt in unser Verstehen, dann heisst es "Wir vom Technologiezentrum glauben, dass der Mensch eine produktive Maschine ist." Und nur danach wird er bewertet.

Das Wort "Ethik", dass sie in ihrem Titel der Sendung ja haben, hat im scientologischen Denken eine andere Bedeutung. Ethik heisst Produktivsein, und da fängt es an, gefährlich und auch menschenverachtend zu werden.


Wer nichts produzieren kann, der ist nichts.

Eben. Und wer nicht produziert ist krank, muss ausgesondert werden. Da kommt ein zweiter schlimmer Fall hinzu, dass Menschen, die nicht produzieren, dass man denen nicht hilft, sondern, dass man die praktisch wegwirft. Sie müssen aus eigener Kraft wieder zurückfinden und wenn nicht, dann ist es nicht schade drum.


Wie haben Sie das erlebt dieses Wegwerfen, wie ging das vor sich?

Mit Freunden innerhalb der Gruppe, die dann plötzlich nicht auftauchten, die auf der Ethikliste auftauchten.


Leistungsliste?

Die wurden als Unterdrücker, als ganz schlimme Menschen bezeichnet, bis hin zu Hausverbot oder Verfehmung innerhalb der Organisation. Und das nahm dann zunehmend stärkere Formen an, und wenn ein neuer Freund dann plötzlich verschwand, dann begann auch die Nachdenklichkeit Stück für Stück.


Wenn Sie davon jetzt so erzählen, dass Sie das sieben Jahre ausgehalten haben, wie konnte das sein?

Ja, das habe ich mich anschliessend auch gefragt, und das war die harte Zeit, mit mir selbst wieder ins Reine zu kommen, denn ich mochte es mir überhaupt nicht verzeihen. Obwohl ich aus der Kirche ausgetreten war, war ich doch vom Grundgerüst her ein katholischer Christ und da spielten Begriffe wie Nächstenliebe und Hilfe und Mitgefühl eine entscheidende Rolle und all diese Begriffe waren in Scientology verpönt, sogar verfehmt. Und das waren also ganz schwierige Jahre, mit mir ins Reine zu kommen, warum ich das nicht früher gemerkt habe.


Was war denn der Auslöser, dass Sie gesagt haben, ich steige aus?

Ja, Auslöser ist ein Prozess, der Druck wird grösser. Und der letzten meiner Phase meines Scientology-Lebens geriet dieser Druck in meine unmittelbare Nähe. Meine Frau wurde bedroht und ich sollte gewunden oder wurde gezwungen, über meine Frau Ethikaussagen zu machen, sprich "Wo versagt sie?" Und das war das erste Mal, wo ich mich weigerte einen Befehl auszuführen und dann selbst ein Ethikfall wurde. Ich musste für Tage dann Toiletten reinigen, Fenster putzen in Kopenhagen. Und das war das Letzte, was ich getan hätte, meine eigene Frau ans Messer liefern. Und da kam erst richtig klar zum Bewusstsein, die Grenze ist überschritten.


Wie das dann weitergegangen ist und ob Sie sich heute noch bedroht fühlen, darüber reden wir gleich nach der Pause. Bleiben Sie dran!

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Schön, dass Sie wieder da sind bei N24 Ethik "Um Gottes Willen". Ich spreche heute mit einem Scientology-Aussteiger.

Herr Potthoff, als Sie dann ausgestiegen waren, Sie hatten gemerkt, meine Frau kann ich nicht verraten. Sie haben selber sich erniedrigen lassen in dieser Phase des Ausstiegs. Wie ging’s dann weiter?

Meine Frau stieg mit mir zusammen aus, aber es dauert nur wenige Wochen bis sie den Lockrufen, auch dem inneren Druck nicht mehr gewachsen war.


Und dann ist sie wieder zurückgegangen?

Sie war anders als ich abhängig geworden von diesem System, ein Leben ausserhalb von Scientology war für sie nicht mehr vorstellbar. Ich hatte zumindest mehrere gute Berufsausbildungen als Graphiker, als Bildhauer, als Fotograf, und hatte dann auch Mut wieder ein bürgerliches Leben zumindest mal in Angriff zu nehmen, aber den Mut hatte sie nicht. Und das waren dann nochmal schlimme Monate, diesen Verlust wegzustecken, denn ich hatte überhaupt keine Chance an sie ranzukommen. Es gab dann einen Trennungsbefehl, der besagt, dass der Kontakt grundsätzlich verboten ist, bis sie ihre Ausbildung – sprich "ihr Auditing", ihre Indoktrination – abgeschlossen hat. Das ist natürlich dann nie abgeschlossen, also die Ehe war zwangsweise seitens Scientology beendet. Es kam dann mit zunehmendem Abstand und auch mit der Klärung "Was hast du falsch gemacht?" – also die Selbstkasteiung, die dann glücklicherweise wieder mündete in einen tiefen Glauben. Ich bin also in dieser Phase wieder Christ geworden, ein anderer Christ als mit 17 Jahren und ein erwachsener Christ mit viel mehr Sicherheit und Klarheit, was es bedeutet, so zu denken und auch sein Leben auf dieser Basis mit Produktion auf der einen Seite und dem Unendlichen der Gläubigkeit auf der anderen Seite zu einem Ganzen zusammenzufügen.


Was haben Sie denn am Christsein entdeckt? Was war für Sie dann das Neue, Faszinierende, was sie da gesehen haben?

Etwas Unglaubliches, es gibt Verzeihen. Und die Chance so bei dieser Frau, die Ehebruch begangen hat, wenn sie dich nicht verurteilen, dann kann ich das auch nicht, "Geh, und tu’s halt nicht wieder." Und das schien mir auch mein Motto zu werden, "Geh in Frieden, bau dir ein neues Leben auf und tu das nicht wieder, was du da gemacht hast."


Und das Verzeihen war dann zunächst einmal, sich selber zu verzeihen.

Ja. Und das war wieder der Schritt zurück in erstmal in die eigene Anerkennung, um sich dann auch wieder die Anerkennung von Eltern und früheren Freunden und Menschen, die man gut kennen wird, zu gewinnen, denn ich bin offensiv mit meiner Mitgliedschaft umgegangen, hab mich an Journalisten gewendet und hab auch über Dinge berichtet, die damals völlig unbekannt waren. Das hat natürlich dann dazugeführt, dass ich sehr rege befragt worden bin, von Journalisten aufgefordert wurde, Vorträge zu halten... Auch für mich ein völlig fremdes Gebiet. In allen meinen Schulzeugnissen stand "Norbert ist zu still." Also plötzlich auf einer Bühne zu stehen und anderthalb Stunden frei zu reden, das war schon eine enorme Herausforderung, aber auch ein tolles Gefühl, in sich plötzlich andere Fähigkeiten zu entdecken, was wohl auch mit meinem wiedergefundenen Glauben zu tun hat. Das man Wertvolles findet, nicht indem man Dinge, die die Umwelt anders haben will zu verbessern, wie zu Beginn, sondern indem man sich selbst die Dinge entdeckt und die zur Reife bringt.


Keine Aussensteuerung, sondern zu entdecken, Gott hat mich geschaffen und ich habe eine Sendung in dieser Welt.

Genau. Aus eigener Kraft und eigener Lebensfreude und Gestaltungsfreude das zu machen, das war ein völlig neues Lebensgefühl.


Aber wenn Sie jetzt so auf die Bühne gegangen sind, haben Sie nicht auch Angst gehabt, ich meine Scientology hat ja auch seine Beziehungen und Sie reden ganz offen und sehr kritisch sagen Sie, was Sache ist. Ist das nicht auch gefährlich, können wir beide so ganz unbedarft miteinander reden oder müssen wir auch ein bisschen Angst haben, dass da ein System irgendwo da ist, so wie das ja so oft dargestellt wird, das uns gefährlich werden kann, auch ihnen gefährlich werden kann. Ist es ihnen mal gefährlich geworden im Nachhinein?

Man hat es versucht, ich selbst...


Wie zum Beispiel?

Es gab gleich zu Beginn Morddrohungen gegen meinen Vermieter. Das führte dazu...


Morddrohungen?

Morddrohungen. Gegen die Kinder, gegen den Vermieter. Das führte dazu – ich hatte vier Jahre zu dem Zeitpunkt meinen Bauernhof – dass ich den wieder räumen musste. Also wieder meine Existenz verlor. Ich musste wieder von vorne anfangen. Mit knappen finanziellen Mitteln, einem Riesenberg Schulden aus meiner Scientology-Zeit war das schon beängstigend und das ist auch das, was die Scientologen bezwecken: Einen so einschüchtern, dass man sich sagt: "Nee, ich lass es lieber; Halts Maul und leb in Ruhe weiter." Aber nun kommen zwei Dinge ins Spiel: Einmal auch wieder ein Rückgriff auf 68, dass ich wusste: Bei totalitären Faschisten-Systemen muss man Mut haben. Da darf man nicht einknicken. Und, der andere Punkt war – es mag ein bisschen pathetisch klingen – dass ich gestärkt im Glauben, auch Mut hatte, Bekenntnis abzulegen. Das hat mich dann auch so stark gemacht, dass ich immer wieder auf die Bühne gegangen bin.


Tom Cruise wird jetzt von den Scientologen in die Öffentlichkeit geschoben. Ein bekannter Schauspieler. Man setzt auf Leute, die es zu was gebracht haben und die ganz offensiv jetzt auch für Scientology werben... wie sehen Sie das?

Ja, das ist natürlich die wichtigste Strategie der Scientologen: Erfolgreiche Leute zu zeigen, dass die dazugehören und sagen: Das kannst Du auch! Das ist so ähnlich wie der Marschallstab, der in jedem Rucksack des Soldaten latent verborgen ist. Da wird Tom Cruise geschickt instrumentalisiert vom System. Die haben eine eigene Organisation dafür gegründet: Das Netzwerk der Celebrity Centers, wo diese Berühmtheiten auf Film, Funk und Fernsehen, öffentlichem Leben und so weiter... wo die speziell betreut werden. Und dass so Menschen wie Tom Cruise oder damals auch Nicole Kidman und John Travolta, dass die auch ihre Probleme haben können, ist ja nichts neues. Sie hören immer wieder von Schauspielern, von erfolgreichen Menschen, dass die plötzlich eine schwarze Seite zeigen, dass sie auch mit ihren Schwächen kämpfen und da hat natürlich Scientology auch ne Möglichkeit einzugreifen und [so einen] Schauspieler zu betreuen und abhängig zu machen.


Aber wie können die so dumm sein?

Ja... Wie können Menschen dumm sein? Wenn sie an ihrem eigenen Machtgefühl und Machtwillen zerbrechen.


...an ihrem eigenen Machtgefühl und Machtwillen zerbrechen. Und dann bietet sich eine Organisation an, die sagt ihnen: Wir haben den Trick in der Tasche, wie Du das wieder herstellen kannst.

So ungefähr muss man sich das vorstellen. Wir neigen dazu, das ist in uns wohl so angelegt, Macht auszuüben und dann kann es manchmal gefährlich sein, wenn man die richtigen Mittel nicht einsetzt. Das kann einem Vater passieren in der Erziehung, einer Mutter, das kann einem Chef passieren, das kann einem berühmten Sportler passieren, dass er alle Grenzen verliert, einem Top-Manager, dass er plötzlich an den Punkt kommt, wo er glaubt, Gesetze sind für ihn nicht mehr gültig, er steht völlig neben dem üblichen System, hat sein eigenes System... aber das führt auch zu persönlichen, psychischen Schwierigkeiten.


Scientologen haben als Logo ein Kreuz mit acht Spitzen. Was bedeutet das?

Für die Scientologen wird gedeutet: Das sind die acht Dynamiken des Lebens. Hubbard selbst sagt, es ist ein altes römisches Kreuz, das er da verwendet. Aber die acht Dynamiken des Lebens ist dann für die Scientologen immer die plausibelste Erklärung. Das ist also die Ich-Dynamik bis hin zur acht, der Unendlichkeit.


Scientology ist ganz klar für sie ein Wirtschaftskonzern, haben sie gesagt, Wirtschaftsunternehmen. Gar nicht eine Kirche. Nach aussen hat man das Wort Kirche zwar benutzt, nach innen aber ist ganz klar: Es geht um Erfolg. Produce, produce, produce!

Es geht um Erfolg, ja. Aber auch über die Wirtschaft würde ich noch setzen: Scientology ist auch ein politisches System, weil es ganz klar auch die Veränderung der Gesellschaft anstrebt.


Welche Veränderung?

Eine Gesellschaft, die totalitär geführt wird, die strikt nach den Regeln von Scientology zu leben hat. Brave New World. Es gibt immer Autoren, die das schon als Vision hatten, wie ein solches System aussieht und "Futurum Zwei", das Buch, beschreibt das auch und Scientology hat ganz klar einen gesellschaftspolitischen Anspruch erhoben.


Ist das gefährlich, Scientology? Ist Scientology gefährlich?

Ich möchte nicht in einem Staat leben, wo mir von oben alles vorgeschrieben wird, wo ich selbst als Mensch keine Würde mehr besitze, wo ich als Maschine eingestuft werde, die zu produzieren hat.


Scientology kämpft dafür, Kirche zu sein. Sie sagen, nach ihrem Ausstieg haben Sie gesehen, dass Christentum auch andere Dimensionen hat als die, die sie als Siebzehnjähriger vielleicht noch gesehen haben. Mit welchen Augen schauen Sie jetzt auf das, was "Kirche" ist. Frag ich mal so, ganz offen.....

Das ist gerade der entscheidende Aspekt. Wenn ich ein System wie Scientology als Gesellschaftssystem ablehne, in der es nur gnadenlos zugeht, dann ist die christliche Ethik ja die Ethik, den Schwachen zu helfen. Das hat Jesus vorgelebt, das tun Priester, das tun Schwestern in kirchlichen Einrichtungen, wo gerade auch dem Schwachen die Hand gereicht wird, wo man ihm hilft, auf die Beine zu kommen und sich in der Gesellschaft wohlzufühlen. Auch in der Gesellschaft mit anderen, die scheinbar bessere und tollere Fähigkeiten haben. Jeder hat das Recht auf seine Würde und seine Anerkennung.


Kommt manchmal noch so'n bisschen Scientologe bei ihnen hoch? Merken Sie das?

Nein. Nein, da hab ich hart gegen gekämpft. Wichtig war, die Dressur abzubauen. Das war natürlich ein schwieriges Kapitel. Das geht nicht von heut auf morgen, das hat Jahre gedauert, dass diese reflexhaften Einschätzungen und Verhaltensweisen wieder wegmussten. Aber ich denke, das ist mir – auch mit Hilfe meiner Freunde – ganz gut gelungen, [die mich] manchmal [behindert] haben, wenn ich dann übers Ziel hinausschoss. Aber... ich hoffe, in aller Demut, ist es mir gelungen.


Wenn ich versuche, von diesem inneren Wollen, Macht haben zu möchten und einen Weg gehen zu wollen, der nicht so gut ist, dann erinnere ich mich an die Worte Jesu, die ich trainiert habe, sozusagen, und da passiert mir dann das, was Sie als Ausstiegserlebnis gesagt haben: Einen Menschen zu sehen, wie Sie ihre Frau gesehen haben und gesagt haben: Für die kann ich nicht weitermachen, das lass ich nicht deswegen tun, so wollen wir in diesem Jesus ja auch den sehen, der uns als Beziehung angeboten wird, damit wir nicht der Macht verfallen, sondern letztlich der Liebe. Vielen Dank, dass Sie bei mir zu Gast gewesen sind und wir sehen uns hier bald wieder, machen Sie's gut!


Dieser Text ist eine Abschrift des Fernsehbeitrags vom 6. April 2008 in N24.
Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.


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Copyright © by Norbert Potthoff und N24, HTML und Links von Ilse Hruby



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