Interview
mit Norbert Potthoff
Um Gottes
Willen – Ethik
Transkript
des TV-N24
Interviews mit einem Aussteiger der Scientology-Sekte
vom Sonntag,
6. April 2008
Mit
der freundlichen Genehmigung zur Veröffentlichung auf meiner Webseite von Norbert Potthoff
The
english translation from this Interview is here
Wer kennt
sie nicht, die
Schauergeschichten rund um
Scientology? Norbert Potthoff ist ein Insider auf diesem Gebiet. Anfang
der 80er Jahre wurde der nun 59 Jährige Mitglied. Schon nach
kürzester Zeit war der gelernte Fotograf und Werbefachmann in der
Maschinerie der Organisation gefangen.
Scientology: "Es ist der
natürliche Wunsch des Menschen,
besser zu werden"
Scientology war 7 Jahre
lang Norbert Potthoffs Leben. Schon nach
kürzester Zeit war der gelernte Fotograf und Werbefachmann in der
Maschinerie der Organisation gefangen: "Wenn man erstmal in Kontakt mit
Scientology gekommen ist, hat man keine Zeit mehr zu überlegen,
denn die Manipulationstechniken greifen rasant schnell." Erst als er
nach Jahren seine eigene Frau bespitzeln sollte, wurde Norbert Potthoff
nachdenklich und entschloss sich zum Ausstieg.
Herzlich Willkommen,
Norbert Potthoff. Sie sind bei den Scientologen
ausgestiegen, nachdem Sie 7 Jahre dort Mitglied waren. Wie sind Sie
denn da reingekommen?
Reingekommen bin ich eigentlich über
den natürlichen
Wunsch des Menschen, besser zu werden. Mit 17-18 war ich des Glaubens
müde und bin aus der Kirche ausgetreten. Von da an galt der Mensch
für mich als Mass aller Dinge und genau auf dieser Ebene
haben mir Bekannte – ich war damals bei einer Werbeagentur – eben diese
neue Philosophie, Scientology, angeboten. Das klang damals sehr
verlockend.
Was war
das Verlockende
für Sie da dran?
An sich arbeiten können,
Schwachstellen abbauen. Der Punkt ist,
Scientologen spielen gerne mit ambitionierten Menschen. Jemand der
keine Lust hat, besser zu werden, ist uninteressant. Also Menschen, die
immer an sich arbeiten möchten, die ehrgeizig sind, sind dann
leichter zu fangen, und ich gehörte dazu.
Ist das
für Sie auch ein
kirchliches Thema gewesen? Das
hätten Sie bei der Kirche doch auch finden können, oder?
Besser werden wollen wir doch alle!
Mit 17-18 hatte ich meine
Pfadfinderzeit hinter mir, das war die
68er Generation, da haben wir uns um das Familiäre, um das Sorgen
in der Kirche, Geheimnisse gekümmert. Wir hatten ganz andere Dinge
im Blick, nämlich die grosse Welt und Frieden in Vietnam und
andere Sachen. Und da hatten wir keinen Zugang zum Glauben mehr.
Der erste
Schritt zu den
Scientologen, wie sieht der aus wenn man da
so reinkommt? Wird man da in so einem Raum geführt in dem stehen
Scientologen oder wie läuft das?
Nein, das nannte sich damals
"College für angewandte
Philosophie", also viel harmloser. Und zum anderen, das Wort
"Scientology" war damals relativ unbekannt, das war 1981, tauchte kaum
oder gar nicht in den Medien auf, und war nur irgendwelchen Insidern
bekannt. Das Angebot, das mir gemacht wurde, war ein
Kommunikationstraining. Ich war Kommunikationsdesigner und wollte in
meinem Beruf weiter vorankommen und mit verbesserter Kommunikation, so
wurde versprochen, sei das leicht möglich. Und der erste
Berührungspunkt in diesem College war dann ein nettes,
ordentliches Büro, eine freundlich schauende Dame und ein
herzliches Willkommen und es war alles hoch wissenschaftlich. Als
erstes musste ich einen Test machen, einen Persönlichkeitstest
über 200 Fragen, um Stärken und Schwächen ausfindig zu
machen. Denn man wollte ja gezielt arbeiten und nicht einfach so in
Blaue hinein. Auch das schien mir damals so logisch und auch sehr
vernünftig, wie das vorgetragen wurde und insofern war ich
völlig arglos.
Dann
haben sie praktisch an
Sitzungen teilgenommen, die sich
"Auditings" nennen. Was ist das, kommt es von "audire" – hören?
Kommt man damit in so eine Kommission, wo man was erzählen muss,
oder wie läuft das?
Nein, das Auditing ist ein
Verhaltenstraining, bei den Scientologen,
das beginnt mit dem Kommunikationstraining. Man muss üben, in der
Gegenwart zu sein, sagen die. Dazu übt man 2 Stunden dem anderen
unverwandt in die Augen zu schauen, ohne auch nur eine Miene zu
verziehen. Und das ist eine Konzentrationsübung auf höchstem
Niveau, hat aber einen entscheidenden Haken: Dieses Training ist eine
äusserste Stressbelastung und führt zum Anstieg
körpereigener Hormone. Man bekommt Schwindelanfälle,
Halluzinationen, bis hin zu Ohnmachtsanfällen und man ist dann auf
Endorphinen, auf einem glückseligen Niveau. Und das gaukelt dann
einem eine ungeheure Freiheit vor, eine Macht, das man von nun an, oder
wenn man in diesem Zustand ist, überhaupt keine Angst mehr hat.
Keine Angst mehr vor Geschäftsleuten, die unangenehme Fragen
stellen, oder Honorarforderungen, die mir immer peinlich waren, und
solche Dinge. Ist klar, wenn man ein paar Drogen drin hat, fühlt
sich einiges leichter an, aber die Tücke ist eben, dass man auch
über körpereigene Drogen abhängig werden kann. Das
wusste ich nicht.
Ist man
schon nach 2-3
Sitzungen so high, dass man dann bricht mit
seiner Frau wie sie dann getan haben? Sie haben ja mit ihrem ganzen
Umfeld gebrochen.
Nicht unbedingt nach der ersten
oder zweiten Woche. Es hat sieben
Wochen gedauert, (Q: Da waren Sie süchtig danach?) es geht
ziemlich schnell. Das ist das Verblüffende und ich hab dann immer
wieder geraten, man hat keine Zeit, wenn man hört, jemand ist in
den Kontakt geraten, in die Manipulationstechnik, die greift rasend
schnell und man sollte nicht nachgeben... gegen die Pumpe laufen, das
wäre sehr tragisch. Deshalb so früh wie möglich helfen
und eingreifen, denn sonst ist es fast nicht mehr möglich.
Sie sind
nach 7 Wochen dann
soweit gewesen, dass Sie dann gesagt
haben, "Jetzt will ich sozusagen dabei sein, bei diesen Leuten"? Ist
das so, dass man das Gefühl hat "Jetzt will ich bei dieser neuen
Gruppe dabei sein"? Und das ist dann der Grund warum man abbricht mit
der Vergangenheit? Sie haben ja dann die Ehe verlassen, Sie haben den
Freundeskreis verlassen, haben sie dann neue Freunde gefunden?
Das erste Mal war es anders.
Ich bekam eine ungeheure
Bestätigung im Freundeskreis, unter Geschäftsfreunden, bei
Kunden, die plötzlich merkten, mein Auftreten ist klarer,
selbstbewusster, und das steht im krassen Gegensatz zu den Zielen
meiner Frau, die eher verträumt war, ihre Faulheit liebte und sich
damals gar nicht zu schätzen wusste. Dass Faulsein auch
glücklich machen kann und zum glücklichen Leben gehört.
Nicht immer faul, aber ab und zu. Sie hat also das richtige Mass
für sich gefunden, aber mir war es suspekt. Meine Bestätigung
kam als mir die Kunden "das ist ja unglaublich, wie du dich
verändert hast....Ganz toll!" Und Bestätigung ist das, was
einen weitermachen lässt. Und dann ging es ziemlich schnell. Die
Veränderung in Gestik, in Sprache fiel dann auch meinen Freunden
auf, sie zogen sich zurück...
Was hat
sich da
verändert?
Ich muss wohl ein Stück
weit fanatisch geworden sein, dass ich
jetzt Andere überzeugen wollte... "Schau mal, mir geht’s gut. Ich
möchte, dass es dir auch gut geht." Das ist also der nächste
Effekt, den die Scientologen anstreben, dass man für die
Organisation Andere anwirbt. Das ist also deine Pflichtaufgabe. Ich
hatte gar nicht gemerkt, dass ich also schon mitten in einer
Missionierungsphase sozusagen war, hätte das auch damals strikt
geleugnet, wenn das jemand behauptet hätte. Aber es war wohl so.
Und die Folge war, dass ich den bürgerlichen Kontakt in Krefeld
verlor und als Trotzreaktion bin ich dann ganz in die Gruppe
reingegangen.
Haben Sie
dann eine
Karriereleiter ein Stück erklommen?
Ich hab meine Karriere als
Graphikdesigner, als Werbefachmann dann
in der Scientology-Organisation gesucht und auch erst einmal gefunden.
Und diese
Karriere ist dann
einmal fachlich, dass man sich
fortbildet, aber dann auch geistig oder trainigsmässig oder
wird man Lehrer oder was heisst das "Man macht eine Lehre in
Scientology"?
Die Karriere ist: man
produziert. Das ist das A und O des
scientologischen Systems, dass man effektiv produziert. Ein Schlagwort
des Gründers Hubbard als: "produce, produce, produce", das
ist alles, was zählt. Und...
Das ist
ganz modern für
die Wirtschaft.
Natürlich, das ist auch
das, was Scientology heute noch in
vielen Bereichen attraktiv erscheinen lässt, weil das
Wirtschaftssystem ähnlich funktioniert – ich will nicht sagen
"gleich", aber in gewisser Hinsicht ähnlich – und auch in der
Wirtschaft die "slow machine", der Mensch als Maschine gesehen
wird, als Humankapital, das es auszubeuten und zu nutzen gilt. Also da
gibt es fatale Berührungspunkte zwischen moderne Wirtschaft,
Kapitalismus und Scientology. Und in meinem Fall war es so, dass ich
durch meine Fachkenntnisse im Bereich Marketing, Public Relation,
Webestratgien, Anwerben neuer Leute, Aufbau neuer Gruppen
äusserst erfolgreich war. Und das führte dann zu einer
Beförderung im System. Geistige Weiterentwicklung fand
natürlich nicht statt, ich wurde nur dressiert, ohne es zu merken.
Dieses
"produce, produce,
produce", was steckt dahinter? Ist der
Mensch laut dieser Scientology-Lehre jemand, der nur einer ist, wenn er
was geleistet hat? Das wäre ja ganz im Gegensatz zu dem
abendländischen Menschenbild, wo wir von Gnade sprechen, der
Mensch ist auch etwas wert an sich, er ist auch dann wertvoll, wenn er
nicht etwas leisten kann. Ist
das so, das so, dass dann dort in der Lehre etwas drinsteckt "Du
bist nur etwas, wenn du etwas geleistet hast"?
Ich will’s mal an einem
Beispiel deutlich machen: die
Scientology-Organisation, die sich in Teilen auch "Kirche" nennt,
verweist auf Kirchenthesen. Unter anderem heisst es da "Wir von
der Kirche glauben, dass der Mensch grundlegend gut ist". Das hört
sich erstmal schön an. Wenn man aber die Sprache der Scientologen
kennt, dann weiss man, das Wort "Kirche" heisst intern
"Technologiezentrum", "Mensch" heisst intern "Maschine", "gut
sein" heisst intern "produktiv sein". Wenn man also diesen Satz
korrekt übersetzt in unser Verstehen, dann heisst es "Wir vom
Technologiezentrum glauben, dass der Mensch eine produktive Maschine
ist." Und nur danach wird er bewertet.
Das Wort "Ethik", dass sie in ihrem Titel der Sendung ja haben, hat im
scientologischen Denken eine andere Bedeutung. Ethik heisst
Produktivsein, und da fängt es an, gefährlich und auch
menschenverachtend zu werden.
Wer
nichts produzieren kann,
der ist nichts.
Eben. Und wer nicht produziert
ist krank, muss ausgesondert werden.
Da kommt ein zweiter schlimmer Fall hinzu, dass Menschen, die nicht
produzieren, dass man denen nicht hilft, sondern, dass man die
praktisch wegwirft. Sie müssen aus eigener Kraft wieder
zurückfinden und wenn nicht, dann ist es nicht schade drum.
Wie haben
Sie das erlebt
dieses Wegwerfen, wie ging das vor sich?
Mit Freunden innerhalb der Gruppe, die dann plötzlich nicht
auftauchten, die auf der Ethikliste auftauchten.
Leistungsliste?
Die wurden als
Unterdrücker, als ganz schlimme Menschen
bezeichnet, bis hin zu Hausverbot oder Verfehmung innerhalb der
Organisation. Und das nahm dann zunehmend stärkere Formen an, und
wenn ein neuer Freund dann plötzlich verschwand, dann begann auch
die Nachdenklichkeit Stück für Stück.
Wenn Sie
davon jetzt so
erzählen, dass Sie das sieben Jahre
ausgehalten haben, wie konnte das sein?
Ja, das habe ich mich
anschliessend auch gefragt, und das war
die harte Zeit, mit mir selbst wieder ins Reine zu kommen, denn
ich mochte es mir überhaupt nicht verzeihen. Obwohl ich aus
der Kirche ausgetreten war, war ich doch vom Grundgerüst her ein
katholischer Christ und da spielten Begriffe wie Nächstenliebe und
Hilfe und Mitgefühl eine entscheidende Rolle und all diese
Begriffe waren in Scientology verpönt, sogar verfehmt. Und das
waren also ganz schwierige Jahre, mit mir ins Reine zu kommen, warum
ich das nicht früher gemerkt habe.
Was war
denn der
Auslöser, dass Sie gesagt haben, ich steige
aus?
Ja, Auslöser ist ein
Prozess, der Druck wird grösser.
Und der letzten meiner Phase meines Scientology-Lebens geriet dieser
Druck in meine unmittelbare Nähe. Meine Frau wurde bedroht und ich
sollte gewunden oder wurde gezwungen, über meine Frau
Ethikaussagen zu machen, sprich "Wo versagt sie?" Und das war das
erste Mal, wo ich mich weigerte einen Befehl auszuführen und dann
selbst ein Ethikfall wurde. Ich musste für Tage dann Toiletten
reinigen, Fenster putzen in Kopenhagen. Und das war das Letzte, was ich
getan hätte, meine eigene Frau ans Messer liefern. Und da kam erst
richtig klar zum Bewusstsein, die Grenze ist überschritten.
Wie das dann weitergegangen
ist und ob Sie sich heute noch bedroht
fühlen, darüber reden wir gleich nach der Pause. Bleiben Sie
dran!
---------
Schön,
dass Sie wieder da sind bei
N24 Ethik "Um Gottes Willen".
Ich spreche heute mit einem Scientology-Aussteiger.
Herr
Potthoff, als
Sie dann ausgestiegen waren, Sie hatten gemerkt, meine Frau kann ich
nicht verraten. Sie haben selber sich erniedrigen lassen in dieser
Phase des Ausstiegs. Wie ging’s dann weiter?
Meine Frau
stieg mit mir zusammen
aus, aber es dauert nur wenige
Wochen bis sie den Lockrufen, auch dem inneren Druck nicht mehr
gewachsen war.
Und dann
ist sie wieder
zurückgegangen?
Sie war
anders als ich abhängig geworden von diesem System, ein
Leben ausserhalb von Scientology war für sie nicht mehr
vorstellbar. Ich hatte zumindest mehrere gute Berufsausbildungen als
Graphiker, als Bildhauer, als Fotograf, und hatte dann auch Mut wieder
ein bürgerliches Leben zumindest mal in Angriff zu nehmen, aber
den Mut hatte sie nicht. Und das waren dann nochmal schlimme Monate,
diesen Verlust wegzustecken, denn ich hatte überhaupt keine Chance
an sie ranzukommen. Es gab dann einen Trennungsbefehl, der besagt, dass
der Kontakt grundsätzlich verboten ist, bis sie ihre Ausbildung –
sprich "ihr Auditing", ihre Indoktrination – abgeschlossen hat. Das ist
natürlich dann nie abgeschlossen, also die Ehe war zwangsweise
seitens Scientology beendet. Es kam dann mit zunehmendem Abstand und
auch mit der Klärung "Was
hast du falsch gemacht?" – also die Selbstkasteiung, die dann
glücklicherweise wieder mündete in einen tiefen Glauben. Ich
bin also in dieser Phase wieder Christ geworden, ein anderer Christ als
mit 17 Jahren und ein erwachsener Christ mit viel mehr Sicherheit und
Klarheit, was es bedeutet, so zu denken und auch sein Leben auf dieser
Basis mit Produktion auf der einen Seite und dem Unendlichen der
Gläubigkeit auf der anderen Seite zu einem Ganzen
zusammenzufügen.
Was haben
Sie denn am
Christsein entdeckt? Was war für Sie dann
das Neue, Faszinierende, was sie da gesehen haben?
Etwas Unglaubliches, es gibt
Verzeihen. Und die Chance so bei dieser
Frau, die Ehebruch begangen hat, wenn sie dich nicht verurteilen,
dann kann ich das auch nicht, "Geh, und tu’s halt nicht wieder." Und
das schien mir auch mein Motto zu werden, "Geh in Frieden, bau dir ein
neues Leben auf und tu das nicht wieder, was du da gemacht hast."
Und das
Verzeihen war dann
zunächst einmal, sich selber zu
verzeihen.
Ja. Und das war wieder der
Schritt zurück in erstmal in die
eigene Anerkennung, um sich dann auch wieder die Anerkennung von Eltern
und früheren Freunden und Menschen, die man gut kennen wird, zu
gewinnen, denn ich bin offensiv mit meiner Mitgliedschaft umgegangen,
hab mich an Journalisten gewendet und hab auch über Dinge
berichtet, die damals völlig unbekannt waren. Das hat
natürlich dann dazugeführt, dass ich sehr rege befragt worden
bin, von Journalisten aufgefordert wurde, Vorträge zu halten...
Auch für mich ein völlig fremdes Gebiet. In allen meinen
Schulzeugnissen stand "Norbert ist zu still." Also plötzlich auf
einer Bühne zu stehen und anderthalb Stunden frei zu reden, das
war schon eine enorme Herausforderung, aber auch ein tolles
Gefühl, in sich plötzlich andere Fähigkeiten zu
entdecken, was wohl auch mit meinem wiedergefundenen Glauben zu tun
hat. Das man Wertvolles findet, nicht indem man Dinge, die die Umwelt
anders haben will zu verbessern, wie zu Beginn, sondern indem man sich
selbst die Dinge entdeckt und die zur Reife bringt.
Keine
Aussensteuerung,
sondern zu entdecken, Gott hat mich
geschaffen und ich habe eine Sendung in dieser Welt.
Genau. Aus eigener Kraft und eigener Lebensfreude und
Gestaltungsfreude das zu machen, das war ein völlig neues
Lebensgefühl.
Aber wenn
Sie jetzt so auf
die Bühne gegangen sind, haben Sie
nicht auch Angst gehabt, ich meine Scientology hat ja auch seine
Beziehungen und Sie reden ganz offen und sehr kritisch sagen Sie, was
Sache ist. Ist das nicht auch gefährlich, können wir beide so
ganz unbedarft miteinander reden oder müssen wir auch ein bisschen
Angst haben, dass da ein System irgendwo da ist, so wie das ja so oft
dargestellt wird, das uns gefährlich werden kann, auch ihnen
gefährlich werden kann. Ist
es ihnen mal gefährlich geworden im Nachhinein?
Man hat es versucht, ich selbst...
Wie zum
Beispiel?
Es gab gleich zu Beginn
Morddrohungen
gegen meinen Vermieter. Das führte dazu...
Morddrohungen?
Morddrohungen. Gegen die
Kinder, gegen den Vermieter. Das
führte dazu – ich hatte vier Jahre zu dem Zeitpunkt meinen
Bauernhof – dass ich den wieder räumen musste. Also wieder meine
Existenz verlor. Ich musste wieder von vorne anfangen. Mit knappen
finanziellen Mitteln, einem Riesenberg Schulden aus meiner
Scientology-Zeit war das schon beängstigend und das ist auch das,
was die Scientologen bezwecken: Einen so einschüchtern, dass man
sich sagt: "Nee, ich lass es lieber; Halts Maul und leb in Ruhe
weiter."
Aber nun kommen zwei Dinge ins Spiel: Einmal auch wieder ein
Rückgriff auf 68, dass ich wusste: Bei totalitären
Faschisten-Systemen muss man Mut haben. Da darf man nicht einknicken.
Und, der andere Punkt war – es mag ein bisschen pathetisch
klingen –
dass ich gestärkt im Glauben, auch Mut hatte, Bekenntnis
abzulegen. Das hat mich dann auch so stark gemacht, dass ich immer
wieder auf die Bühne gegangen bin.
Tom
Cruise wird jetzt von den
Scientologen in die
Öffentlichkeit geschoben. Ein bekannter Schauspieler. Man setzt
auf
Leute, die es zu was gebracht haben und die ganz offensiv jetzt auch
für Scientology werben... wie sehen Sie das?
Ja, das ist natürlich die
wichtigste Strategie der
Scientologen: Erfolgreiche Leute zu zeigen, dass die dazugehören
und sagen: Das kannst Du auch! Das ist so ähnlich wie der
Marschallstab, der in jedem Rucksack des Soldaten latent verborgen ist.
Da wird Tom Cruise geschickt instrumentalisiert vom System. Die haben
eine eigene Organisation dafür gegründet: Das Netzwerk der
Celebrity Centers, wo diese Berühmtheiten auf Film, Funk und
Fernsehen, öffentlichem Leben und so weiter... wo die speziell
betreut werden. Und dass so Menschen wie Tom Cruise oder damals auch
Nicole Kidman und John Travolta, dass die auch ihre Probleme haben
können, ist ja nichts neues. Sie hören immer wieder von
Schauspielern, von erfolgreichen Menschen, dass die plötzlich eine
schwarze Seite zeigen, dass sie auch mit ihren Schwächen
kämpfen und da hat natürlich Scientology auch ne
Möglichkeit einzugreifen und [so einen] Schauspieler zu betreuen
und abhängig zu machen.
Aber wie
können die so
dumm sein?
Ja... Wie können Menschen dumm sein? Wenn sie an ihrem eigenen
Machtgefühl und Machtwillen zerbrechen.
...an
ihrem eigenen
Machtgefühl und Machtwillen zerbrechen. Und
dann bietet sich eine Organisation an, die sagt ihnen: Wir haben den
Trick in der Tasche, wie Du das wieder herstellen kannst.
So ungefähr muss man sich
das vorstellen. Wir neigen dazu, das
ist in uns wohl so angelegt, Macht auszuüben und dann kann es
manchmal gefährlich sein, wenn man die richtigen Mittel nicht
einsetzt. Das kann einem Vater passieren in der Erziehung, einer
Mutter, das kann einem Chef passieren, das kann einem berühmten
Sportler passieren, dass er alle Grenzen verliert, einem Top-Manager,
dass er plötzlich an den Punkt kommt, wo er glaubt, Gesetze sind
für ihn nicht mehr gültig, er steht völlig neben dem
üblichen System, hat sein eigenes System... aber das führt
auch zu persönlichen, psychischen Schwierigkeiten.
Scientologen
haben als Logo
ein Kreuz mit acht Spitzen. Was bedeutet
das?
Für die Scientologen wird
gedeutet: Das sind die acht Dynamiken
des Lebens. Hubbard selbst sagt, es ist ein altes römisches Kreuz,
das er da verwendet. Aber die acht Dynamiken des Lebens ist dann
für die Scientologen immer die plausibelste Erklärung. Das
ist also die Ich-Dynamik bis hin zur acht, der Unendlichkeit.
Scientology
ist ganz klar
für sie ein Wirtschaftskonzern, haben
sie gesagt, Wirtschaftsunternehmen. Gar nicht eine Kirche. Nach aussen
hat man das Wort Kirche zwar benutzt, nach innen aber ist ganz klar: Es
geht um Erfolg. Produce, produce, produce!
Es geht um Erfolg, ja. Aber
auch über die Wirtschaft würde
ich noch setzen: Scientology ist auch ein politisches System, weil es
ganz klar auch die Veränderung der Gesellschaft anstrebt.
Welche
Veränderung?
Eine Gesellschaft, die
totalitär geführt wird, die strikt
nach den Regeln von Scientology zu leben hat. Brave New World. Es gibt
immer Autoren, die das schon als Vision hatten, wie ein solches System
aussieht und "Futurum Zwei", das Buch, beschreibt das auch und
Scientology hat ganz klar einen gesellschaftspolitischen Anspruch
erhoben.
Ist das
gefährlich,
Scientology? Ist Scientology
gefährlich?
Ich möchte nicht in einem
Staat leben, wo mir von oben alles
vorgeschrieben wird, wo ich selbst als Mensch keine Würde mehr
besitze, wo ich als Maschine eingestuft werde, die zu produzieren hat.
Scientology
kämpft
dafür, Kirche zu sein. Sie sagen, nach
ihrem Ausstieg haben Sie gesehen, dass Christentum auch andere
Dimensionen hat als die, die sie als Siebzehnjähriger vielleicht
noch gesehen haben. Mit welchen Augen schauen Sie jetzt auf das, was
"Kirche" ist. Frag ich mal so, ganz offen.....
Das ist gerade der
entscheidende Aspekt. Wenn ich ein System wie
Scientology als Gesellschaftssystem ablehne, in der es nur gnadenlos
zugeht, dann ist die christliche Ethik ja die Ethik, den Schwachen zu
helfen. Das hat Jesus vorgelebt, das tun Priester, das tun Schwestern
in kirchlichen Einrichtungen, wo gerade auch dem Schwachen die Hand
gereicht wird, wo man ihm hilft, auf die Beine zu kommen und sich in
der Gesellschaft wohlzufühlen. Auch in der Gesellschaft mit
anderen, die scheinbar bessere und tollere Fähigkeiten haben.
Jeder hat das Recht auf seine Würde und seine Anerkennung.
Kommt
manchmal noch so'n
bisschen Scientologe bei ihnen hoch? Merken
Sie das?
Nein. Nein, da hab ich hart
gegen gekämpft. Wichtig war, die
Dressur abzubauen. Das war natürlich ein schwieriges Kapitel. Das
geht nicht von heut auf morgen, das hat Jahre gedauert, dass diese
reflexhaften Einschätzungen und Verhaltensweisen wieder
wegmussten. Aber ich denke, das ist mir – auch mit Hilfe meiner Freunde
–
ganz gut gelungen, [die mich] manchmal [behindert] haben, wenn ich dann
übers Ziel hinausschoss. Aber... ich hoffe, in aller Demut, ist es
mir gelungen.
Wenn ich versuche, von diesem
inneren Wollen, Macht haben zu
möchten und einen Weg gehen zu wollen, der nicht so gut ist, dann
erinnere ich mich an die Worte Jesu, die ich trainiert habe, sozusagen,
und da passiert mir dann das, was Sie als Ausstiegserlebnis gesagt
haben: Einen Menschen zu sehen, wie Sie ihre Frau gesehen haben und
gesagt haben: Für die kann ich nicht weitermachen, das lass ich
nicht deswegen tun, so wollen wir in diesem Jesus ja auch den sehen,
der uns als Beziehung angeboten wird, damit wir nicht der Macht
verfallen, sondern letztlich der Liebe. Vielen Dank, dass Sie bei mir
zu
Gast gewesen sind und wir sehen uns hier bald wieder, machen Sie's gut!
Dieser Text ist eine
Abschrift des Fernsehbeitrags vom 6. April 2008 in N24.
Eventuelle spätere Veränderungen des
Sachverhaltes sind
nicht berücksichtigt.
zum
Weiterlesen:
Copyright © by Norbert Potthoff und
N24, HTML
und Links von Ilse
Hruby
zurück zum Inhaltsverzeichnis
zurück zur Ex-
Scientologen
Seite
|