Prof.Dr.med. Hans Kind
Alt Direktor der Psychiatrischen Poliklinik
Im Universitätsspital Zürich
XXXXXXXXXX
8704 Herrliberg 
Herrn Dr. U. Eschmann
Rechtsanwalt
XXXXXXXX
XXXXXXX
8026 Zürich

Herrliberg, 3.3.1989

 
 
Sehr geehrter Herr Dr. Eschmann

Nach diversen vorbereitenden Kontakten haben Sie mich mit Brief vom 15.11.1988 gebeten, ein Gutachten über folgende Fragen zu erstatten:
 

  1. Was ist aus medizinisch-psychiatrischer Sicht über den Gesundheitszustand von Frau L.B. zur  Zeit der Begutachtung und im, Zeitpunkt des Austrittes aus der Scientology-Sekte (ca. Oktober 1987) zu sagen?
  2. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Befunden, welche Frau Dr.med. H.H. bei Frau L.B. im Oktober 1987 erhoben hat und welche sie mit jenen bei "psychotischen Dekompensationen" vergleicht einerseits, und den Ihnen von Frau L.B. geschilderten Praktiken der Scientology-Sekte?
  3. Was ist aufgrund der heutigen Erkenntnisse der Psychotherapie (Psychiatrie) zum Modell von Dianetik (Scientology) über die psychischen und körperlichen Krankheiten (Ursache, Entstehung, Heilung etc.) zu sagen?
  4. Entspricht die Argumentation und die "Beweisführung" in den Schriften von Dianetik/Scientology den Anforderungen eines allgemein anerkannten Wissenschaftsbegriffes?
  5. Wie sind die Auditing-Methoden der Scientologen aus psychotherapeutischer-psychiatrischer Sicht zu beurteilen?
  6. Sind Parallelen zu anderen psychotechnischen Methoden erkennbar, welche man gemeinhin unter dem Begriff "Gehirnwäsche" zusammenfasst und worin bestehen sie?

Mein Gutachten stützt sich auf diese Unterlagen:
 

  1. Diverse Originalpublikationen über Dianetik und Scientology, die weiter unten speziell bezeichnet werden.
  2. Weitere beigezogene Literatur zur Frage der möglichen Schädigung durch Psychotherapie oder verwandte Methoden.
  3. Ausführliche Exploration von Betroffenen über ihre Erlebnisse mit Dianetik und Scientology.

Mein Gutachten gliedert sich in folgende Abschnitte:
 

  1. Beschreibung der Theorie der Dianetik anhand des Lehrbuches von L. Ron Hubbard, dem Begründer der Dianetik.
  2. Beschreibung der Dianetik als Therapie von neurotischen, psychosomatischen und anderen Störungen.
  3. Die grundsätzlichen Risiken dieser Therapie im Licht der Psychotherapieforschung.
  4. Auswirkungen der dianetischen Therapie auf die von mir explorierten Betroffenen. 
  5. Zusammenfassende Beantwortung Ihrer Fragen.

Soweit nicht anderes vermerkt, stammen die folgenden Angaben und Zitate aus dem Buch "Dianetik, die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit. Das Handbuch der dianetischen Verfahren", verfasst von L. Ron Hubbard, New Era Publications, Kopenhagen, 7. deutsche Auflage Taschenbuchausgabe 1984. Die Seitenverweise beziehen sich auf dieses Werk, sofern nicht eine andere Quelle genannt ist. Nachdem Ihnen die Organisation der Scientology Church gut bekannt ist, brauche ich auf diesen Aspekt nicht genauer einzugehen. Immerhin bemerke ich hiezu, dass Scientology heute eine weltweite Organisation ist, die sich Church, Kirche, nennt, die ihren Teilnehmern einerseits Wege zur menschlichen Vollkommenheit anbietet. Dies geschieht in Kursen und weiteren Veranstaltungen, die schrittweise immer höhere Stufen erreichen sollen. Andererseits behauptet Scientology, in der Dianetik eine Therapie neurotischer, psychosomatischer und anderer Störungen zu besitzen, die von ihren Mitarbeitern ausgeübt wird. Ich befasse mich im folgenden in erster Linie mit Dianetik und ihren Risiken für den Patienten. Es wird sich am Beispiel der befragten Betroffenen zeigen, dass aber meist auch Kurse im zuerst genannten Sinn im Spiele sind. Scientology als Organisation hat eine eigene Fachsprache entwickelt, deren Kenntnis dem Teilnehmer das Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt. Diese Fachsprache ist in speziellen Wörterbüchern (z.B. Dianetics and Scientology. Technical Dictionary) erklärt, wobei allerdings zentrale Begriffe oft mehrere Bedeutungen haben. 

1. Die der Dianetik zugrundeliegende Theorie über den Aufbau und das Funktionieren der Menschlichen Psyche

Die menschliche Psyche wird von L.R. Hubbard in Analogie zu einem enorm, grossen Computer gesehen, der im Gehirn lokalisiert ist. Ein zentraler Begriff ist der menschliche Mind (Geist, Verstand, S. 56). Er ist in drei Teilfunktionen gegliedert, den analytischen Mind, "der Erfahrungsdaten wahrnimmt und behält, um Probleme aufzustellen und zu lösen" (S. 57), den reaktiven Mind, "der körperlichen Schmerz und schmerzliche Emotion einordnet und speichert und den Organismus einzig und allein nach dem Reiz-Reaktionsprinzip zu lenken sucht" (S. 57), und schliesslich den somatischen Mind, der Lösungen auf körperlicher Ebene verwirklicht. Der bewusste Teil des analytischen Mind, seine Kontrollinstanz, die als Monitor bezeichnet wird, ist das Ich oder die Person im üblichen Sprachgebrauch (S. 63). Alle Wahrnehmungen der Sinnesorgane und sie begleitende Gedanken und Verknüpfungen werden vollständig in sog. Standard-Gedächtnisbanken gespeichert. Sie stehen dem analytischen Mind für seine Aufgabe im Dienst des Überlebens des Organismus zur Verfügung. Überleben ist das Grundprinzip des Lebens, dem alle Aktivitäten am Ende dienen.

Nun gibt es in den Standard-Gedächtnisbanken Lücken, d.h. Augenblicke, wo nichts gespeichert wurde. Das sind Lücken, die in Augenblicken von "Bewusstlosigkeit" zustandekamen, also in dem Zustand, der durch Betäubung, Drogen, Verletzung oder Schock verursacht wird (S. 74). Die Wahrnehmungen solcher Momente werden, um eine Überlastung des Systems der Standardbanken zu verhindern, nicht gespeichert, weil der analytische Mind ausgeschaltet ist. Sobald dies geschieht, schaltet sich der reaktive Mind ein. Er springt für den analytischen Mind in Momenten der "Bewusstlosigkeit" ein, die gegen das Überleben gerichtet sind, um den Organismus auf einer tieferen Stufe zu retten. Er speichert nicht Erinnerungen, sondern Engramme Das sind "vollständige bis ins kleinste Detail gehende Aufzeichnungen von allen Wahrnehmungen, die während der Zeit einer teilweisen oder vollständigen 'Bewusstlosigkeit' vorhanden waren" (S. 82). Diese Engramme werden in speziellen, von den Standardbanken getrennten Engrammbanken gespeichert.

"Ein Engramm kann in jeden beliebigen Körperschaltkreis bleibend eingebaut sein und führt sich wie ein eigenständiges Wesen auf" (S. 83), körperlicher Schmerz und schmerzliche Emotion sind mit dem Engramm verbunden, dies der Unterschied zur blossen Erinnerung. Engramme sind nun die Ursache für Aberrationen (S. 84), d.h. für gestörtes oder irrationales Verhalten (S. 58). Der reaktive Mind denkt nur in Gleichsetzungen, Identitäten, was zu verzerrten Reaktionen führt, Engramme sind deshalb die Ursache von allen nicht unmittelbar somatisch bewirkten Unzulänglichkeiten des Menschen, besonders für alle psychosomatischen Krankheiten, Neurosen und Psychosen. Der optimal gesunde Mensch, Clear genannt, hat weder aktiv noch potentiell vorhandene psychosomatische Krankheiten oder Aberrationen. Seine reaktiven Engrammbanken wurden durch die dianetische Therapie geklärt, d.h. ausgeräumt, gelöscht (S. 215 f.). Der Clear hat dann bisher ungeahnte Fähigkeiten. Sein IQ ist wesentlich grösser, er ist in hohem Mass vernunftbegabt und "völlig unfähig, sich zu irren" (S. 30). Sollte er trotzdem irren, so wäre das nicht die Folge eines Denkfehlers, sondern "der bewusst empfindende, vernunftbegabte Teil des Geistes, der die Lösung von Problemen wie ein Computer errechnet, indem er denkt, und der den Menschen zum Menschen macht" (S. 30), wäre unrichtigen Daten zum Opfer gefallen.

Der optimale Mensch hat auch die Fähigkeit zum Rückruf früherer Ereignisse und zwar in all ihren verschiedenen Sinnesqualitäten. Nachdem Wahrnehmungen schon im vorgeburtlichen Leben in den Zellen des Embryos gespeichert wurden, ist deren Rückruf später jederzeit möglich, d.h. der Patient kann z.B. die Worte wiedergeben, die seine Mutter und sein Vater im Streit oder beim Geschlechtsverkehr gesprochen haben, als seine Mutter mit ihm schwanger war (Beispiel eines solchen Rückrufs auf S. 273 f.). An vielen Stellen des Lehrbuchs wird auf wissenschaftliche Beweise für diese Behauptungen hingewiesen, aber es fehlen alle konkreten Angaben über Untersuchungen oder Experimente, die irgendwie nachprüfbar wären. 

2. Beschreibung der Dianetik als Therapie seelischer Störungen

Für die Therapie ist die Fähigkeit zum Rückruf, zur Wiedererinnerung früherer Ereignisse ein zentrales Erfordernis. Die diesbezüglichen Vorstellungen bewegen sich ganz auf der Ebene der Computerwissenschaft. So sagt L.R. Hubbard auch wörtlich, Dianetik sei eine Ingenieur-Wissenschaft (S. 281). Das menschliche Gedächtnis ist in dieser Theorie wie ein Computer organisiert. Alle Wahrnehmungen, zugehörige Gedanken etc. sind wie in Datenbanken chronologisch gespeichert, die analog den Magnetplatten eines Computers gesehen werden. Auf der chronologischen Zeitspur kann vom "Computer", Archivar genannt, jede Stelle, die zurückgerufen werden soll, aufgefunden werden. Blockierungen können das verhindern. Sie müssen in der Therapie beseitigt werden, weil für die Heilung alle Engramme, die aus schmerzlichen Ereignissen stammen, gelöscht werden müssen. Solche Engramme sind, wie bereits erwähnt, die Ursache von fehlerhaftem Denken und Verhalten und damit von Krankheiten, insbesondere psychosomatischen.

Wie geht diese Therapie vor sich? "Zweck und einziges Ziel der Therapie ist die Beseitigung der reaktiven Engrammbank" (S. 220), weil Engramme, wie bereits erwähnt, die Ursache von fehlerhaftem Denken und Verhalten und damit von seelischen Störungen sind. Durch den Therapieprozess soll die Engrammbank entleert und der Inhalt umgespeichert werden, so dass er in den Standardbanken als Erfahrung verfügbar wird (S. 220)

Zielscheibe der Therapie ist die Engrammbank (S. 223). Weil der Patient seine eigenen Aberrationen nicht sehen kann, braucht er die Hilfe des Therapeuten, Auditor genannt, dessen spezielle Technik heisst Auditieren. Die Routinetechnik beginnt damit, dass der Patient in "Reverie" versetzt wird, d.h. in einen Zustand eingeengten und leicht gesenkten Bewusstseins. Im Technical Dictionary (Church of Scientology of California, Publications Organization US, Los Angeles, Third Printing 1978, Edited by P.Brice, A.C.Taylor) S. 351 heisst es zu Reverie: "The mind ... will be found to be to some degree detachable from his surroundings and directed interiorly." Das entspricht der üblichen Definition eines hypnoiden Zustandes. Hubbard behauptet allerdings, seine Reverie habe nichts mit Hypnose zu tun. Eingeleitet wird die Reverie beispielsweise durch monotones Zählen. Zahlreiche weitere Techniken als Einleitung des Auditing werden erwähnt, u.a. in von L.R. Hubbard publizierten Modellsitzungen (1985). Der Patient wird z.B. aufgefordert, Bewegungen des Auditors stereotyp genau nachzuahmen, deren Sinn er nicht versteht und wobei er auf diesbezügliche Fragen keine Antwort, sondern nur immer wieder die gleiche Aufforderung erhält. Er soll sich ohne Abwehr und Kritik der Führung des Auditors überlassen. Obwohl L.R. Hubbard immer wieder behauptet, Dianetik habe nichts mit Suggestion und Hypnose zu tun, benutzt er doch die gleichen Techniken der Einleitung und auch der Beendigung, indem ausdrücklich alle möglichen Suggestionen des Auditors wieder gelöscht werden sollen (S. 250 f.).

Im Zustand der Reverie wird nun nach früheren Erlebnissen gefragt. Arbeitsinstrument ist der Rückruf. Der Patient wird veranlasst, zu früheren Perioden seines Lebens zurückzukehren, die wiedererlebt werden. "Der Auditor lässt den Patienten das Engramm wiedererzählen, bis es erleichtert oder verschwunden ist" (S. 258). Das Engramm ist allerdings nur in der Engrammbank verschwunden, aber kann nun in den Standardbanken gefunden werden (S. 258). Wenn das früheste traumatische Erlebnis (Basik-Basik genannt) auf diese Weise gelöscht ist, verschwinden alle Engramme (S. 258). Kontrolliert wird das Löschen mit dem E-Meter, einem Apparat zur Messung des elektrischen Hautwiderstandes bzw. des Stromdurchflusses. Dieser Widerstand wird vor allem durch die Tätigkeit der Schweissdrüsen beeinflusst und diese wiederum durch das sympathische Nervensystem. Emotionen gehen mit sympathischen Erregungen einher und verändern den Hautwiderstand, bewirken also einen Nadelausschlag am E-Meter. Die Art der Emotion spielt dabei keine Rolle, immer nur ihre Stärke. Die dianetische Theorie geht von der Vorstellung aus, ein Engramm sei gelöscht, wenn diewiederholte Erzählung seines Inhalts keine Reaktion am E-Meter mehr auslöst. Früher wurden solche Geräte, die meist noch weitere physiologische Reaktionen messen konnten wie Puls, Blutdruck, Atmungsfrequenz u.a. als sog. Lügendetektoren verwendet. Sie haben sich nicht bewährt, gaben Anlass zu falschen Anklagen und sind heute wohl für diesen Zweck vollständig verlassen.

Die dianetische Therapie, die davon ausgeht, dass das Wiedererleben frühester schmerzhafter Ereignisse ihre pathogene Wirkung aufhebe, hat Entsprechungen in der frühen Psychoanalyse von Sigmund Freud und in neuerer Zeit in der Primärtherapie von Arthur Janov und anderen ähnlichen Verfahren. Freud war anfänglich der Meinung, die Bewusstmachung verdrängter Inhalte, die bis weit zurück in die Kleinkindzeit reichen, beseitige damit verknüpfte neurotische Symptome. Besonders zwischen der Neurosentheorie von Arthur Janov und Dianetik bestehen auffallende Analogien. Janov unterscheidet das wahre Selbst des Menschen, das er ist, bevor er entdeckt, dass es für seine Eltern nicht akzeptabel ist. Deshalb baut das Kind ein Abwehrsystem auf, eine Schale, um den Schmerz nicht mehr zu fühlen. Das ist das irreale Selbst. Beim Neurotiker ist das reale Selbst zusammen mit dem Schmerz verschüttet. Er muss, um sich zu befreien, den Schmerz wieder spüren. Der Patient muss den Schmerz und die zugehörigen frühen Erlebnisse nochmals durchmachen, den Schmerz herausschreien, um sich davon zu befreien. (Belege zur Janovschen Theorie siehe H. Kind "Psychotherapie und Psychotherapeuten", Thieme Stuttgart 1982, S. 201 f.).

Sigmund Freud hat bald realisiert, dass die blosse Bewusstmachung keine Heilung garantiert. Notwendig ist das Durcharbeiten der Widerstände, die sich im Patienten gegen die Therapie, gegen den Therapeuten, gegen das Aufgeben früh erworbener Fehlhaltungen und gegen, das Ergreifen reiferer Verhaltensweisen richten. Das ist bekanntlich ein langwieriger Prozess, der vom Analytiker ein hohes Mass von Fachkenntnis, Einfühlungsvermögen und konstanter Zuwendung verlangt.

In der Dianetik sind ein solcher psychologischer Fachverstand und Einfühlungsvermögen nicht notwendig. Die Therapie verläuft nach unpersönlichen, sozusagen mechanischen Regeln ab. L.R. Hubbard sagt ausdrücklich, Dianetik brauche keine spezielle Vorbildung. Besonders Ingenieure seien hervorragend geeignet, ausgezeichnete Auditoren zu werden (S. 212). Zu den Grundregeln der Therapie gehört, dass man es dem Patienten nicht bequem machen und ihm jedenfalls kein Mitgefühl zeigen darf (S. 224). Auch Informationen an den Patienten sind nur schädlich. Wie heftig auch immer der Patient klagt und jammert, der Auditor muss fest im Auge behalten, dass jedes Klagen, jedes Aufbäumen ein Schritt näher zum Ziel ist (S. 225). "Die Aufgabe des Auditors erinnert sehr an die eines Schäfers, der die Lämmer – die Engramme – zum Schlachten in die Herde treibt" (S. 226). "Stösst der Auditor auf Abwehr, Feindseligkeit gegenüber der Dianetik, persönliche Kritik usw. so hört er keine analytische Daten" (das, bedeutet in diesem Zusammenhang keine vernünftigen Argumente, des Patienten) "sondern reaktive Engramminhalte. Er sollte gelassen fortfahren, in dem sicheren Wissen, dass die Dynamiken des Patienten ihm mit allem, was zur Verfügung steht, helfen werden – solange der Auditor ein Verbündeter gegen den reaktiven Mind des Patienten ist, nicht Kritiker oder Angreifer des analytischen Minds." (S.232). Optimale Arbeit wird der Auditor leisten, wenn er sich geistig während der Therapie so einstellt, dass er ruhig sitzenbleiben und ein Liedchen pfeifen könnte, während der Raum vor ihm abbrennt (S. 226).

Der Auditor ist gar nicht daran interessiert, was der Patient tut und was er getan hat. Die Therapie beschäftigt sich ausschliesslich mit dem, was der Person angetan wurde. Was eine Person getan hat, ist belanglos. Der Auditor, der sich mit letzterem abgibt, verstösst gegen die Regeln der Dianetik (S. 383). Mit dieser Einstellung wird diese Therapie nun besonders problematisch, weil sie vor allem den Müttern einen wesentlichen Teil der Schuld an den Aberrationen des Patienten zuweist. Als selbstverständlich wird unterstellt, dass sehr viele Mütter Abtreibungsversuche unternommen und dabei dem Embryo schädliche Engramme gesetzt haben. Wenn ein Patient sagt, er habe ein schlechtes Gedächtnis für frühe Erlebnisse, so ist meist die Mutter daran schuld, die dem Kleinkind dauernd gesagt habe, es könne sich an nichts mehr erinnern, als es noch ganz klein war.
 

"Sie möchte nicht, dass es sich zurückruft, wie geschickt – wenn auch erfolglos – sie mit verschiedenen Instrumenten zu Werke ging. Vielleicht wäre das vorgeburtliche Gedächtnis eine Selbstverständlichkeit, wie unser ganz normales Gedächtnis und stände der gesamten Menschheit für den Rückruf voll zur Verfügung, wenn sich nicht dieses Schuldbewusstsein so vieler Mütter durch all die Jahrtausende hin fortgepflanzt hätte. Der Auditor muss daher immer auf den heftigen Widerstand von Müttern gefasst sein, die sich – aus Angst vor dem, was ihr Kind entdecken könnte – mit Händen und Füssen dagegen wehren, dass ihre erwachsenen Söhne oder Töchter die Therapie beginnen" 
(S. 246).

So mancher Auditor hat schon erlebt, dass eine Mutter bei dem Gedanken, ihr Kind könne vorgeburtliche Geschehnisse zurückrufen, einen Nervenzusammenbruch erlitt. Übrigens liegt das nicht immer daran, dass sie abzutreiben versuchte. Oft gab es, neben dem Vater noch ein paar andere Männer, von denen der Vater nie etwas wusste und sehr häufig wird die Mutter in einem solchen Fall ihr Kind lieber Krankheiten, geistigen Störungen oder auch nur dem Unglücklichsein überlassen, als es den Weg des Preclears verfolgen zu lassen, obwohl sie behauptet, keinerlei Erinnerung an irgendein dem Kind jemals zugestossenes Übel zu haben. Wenn sie selbst dianetisch behandelt wird, gibt sie die Wahrheit gewöhnlich preis. Hier haben wir die Ursache, warum in unserer Gesellschaft ein gutes Gedächtnis unerwünscht ist und kleinkindliche und vorgeburtliche Erinnerung nicht zur Kenntnis genommen werden – ganz zu schweigen von der Fähigkeit der Rückkehr und des Wiederdurchlebens" (S. 246/47).

Nicht nur der Abtreibungsversuch selbst schädigt den Fötus, sondern auch die gleichzeitigen Selbstgespräche der Mutter werden vom Fötus, der dabei irgendwie "verletzt" wird, aufgezeichnet und können Geisteskrankheit und Neurose erzeugen (S. 390). Das gleiche gilt für Gespräche der schwangeren Mutter mit dem Vater oder einem Liebhaber während des Geschlechtsverkehrs, bei dem der Fötus gedrückt und gestossen, d.h. ihm Schmerz erzeugt wird. Der Patient, der eine dianetische Therapie beginnt, soll auf keinen Fall seine Eltern und Verwandten um Informationen Über seine frühe Vorgeschichte bitten. Sie würden ihn nur auf eine falsche Spur setzen, weil sie nur wünschen, dass er alles vergässe, was sie ihm angetan haben. "Diese Leute sind die Bösewichte in unserem Drama: Die Leute, die dem Preclear die Dinge angetan haben, die ihn zum Aberrierten machten. Erwartete man von ihnen genaue Daten, so könnte man ebensogut erwarten, dass der Mond aus grünem Käse besteht." (S. 474).

Der vorzeitige Abbruch einer dianetischen Therapie geschieht in der Theorie von L. R. Hubbard immer aus einem Widerstand heraus. Die Manifestationen dieses Widerstandes seien aber Versuche des Mind, die Wiederaufnahme der Therapie zu erreichen (S. 477). So ist dafür gesorgt, dass ein Abbruch der Therapie, was auch immer die Motive sind, als unverantwortlicher Schritt des Patienten deklariert werden kann.

3. Risiken der Dianetik im Licht der Psychotherapieforschung

Die aufmerksame Lektüre des Lehrbuchs der Dianetik von L.R. Hubbard macht klar, dass diese sog. Therapie eine völlig unpersönliche, ja "unmenschliche" Prozedur ist, in dem Sinn, dass der Therapeut gar nicht darauf bedacht ist, auf die persönlichen Probleme und Anliegen des Patienten einzugehen, sondern nur stur darauf ausgeht, ihn zu sog. Rückrufen anzuhalten und frühe Ereignisse solange erzählen zu lassen, bis das E-Meter keine emotionale Reaktion mehr anzeigt. Weil der Patient keine Informationen erhält, weiss er in der Regel nicht, was gespielt wird. Er befindet sich in einem leicht hypnoiden Zustand und lässt mit sich geschehen. Anfänglich wird er allenfalls eine deutliche Abreaktion emotionaler Spannungen erleben, die er als befreiend empfinden kann. Die Wiederholung bringt aber häufig keinen Gewinn, weil Konflikte nicht bearbeitet werden, und der Patient auch keine Hinweise erhält, wie er sich in seinem Leben besser orientieren könnte.

Diese Therapie lässt ganz bewusst die bekannten und vielfach wissenschaftlich belegten Wirkungswege psychotherapeutischer Verfahren ausser acht und beschränkt sich auf die blosse Abreaktion. Die Beziehung zum Therapeuten, die heute anerkanntermassen der wichtigste therapeutische Faktor ist, wird vollständig ausgeklammert,. Wie auch immer der Patient reagiert, welche Krisen und Zusammenbrüche er auch zeigt, der Auditor sollte ruhig dabei sitzen, ein Liedlein pfeifen (S. 226) und auf der immer neuen Wiederholung anhand des E-Meter-Ausschlages angeblich noch nicht gelöschter Engramme bestehen. Die Annahme liegt nahe, dass es auf diese Weise zu einer Konditionierung des Patienten kommt, der gleichgültig wird, weil er den Sinn der Prozedur nicht versteht. Die Fragen lassen ihn allmählich kalt, so dass auch keine Emotion mehr mitschwingt, das E-Meter also kaum mehr reagiert. Das bedeutet aber keineswegs, dass das frühere Trauma nun überwunden ist, sondern nur, dass die Abwehr auf der emotionalen Ebene sich verfestigt hat. Das hat schon Freud erfahren, als er feststellen musste, dass die blosse Bewusstmachung eines Ereignisses seine pathogene Wirkung nicht beseitigt.

Erhebliche Risiken für den Patienten bedeutet jene Einstellung des Auditors, der sich an die Weisung L.R. Hubbards hält, die Eltern und Verwandten seien die Bösewichter, die ausschliesslich die Schuld an den Störungen und Beschwerden des Patienten hätten. Jeder Widerstand von Eltern gegen diese besitzergreifende Therapie wird als Ausdruck ihrer Schuldgefühle und Angst vor der Aufdeckung von "Misshandlungen" des Patienten in seiner Jugend oder gar der vorgeburtlichen Zeit interpretiert. Das scheint z.T. zur Strategie der Organisation zu gehören, weil auf diese Weise die Patienten von ihren Familien getrennt und ganz an die Organisation gebunden werden. Wenn dann noch finanzielle Abhängigkeiten dazukommen, ist der weg zurück zur Selbständigkeit enorm erschwert und nur mit vielen Einbussen möglich.

Nachdem der Prozess des Auditierens den Patienten bezüglich seiner Konflikte und Ängste allein lässt, weil er keine Interpretationen, kein Mitgefühl oder emotionale Stützung erhalten soll, ist dieses Verfahren höchstens für sehr robuste, selbstsichere, innerlich widerstandsfähige Personen ohne Risiko. Für seelisch Leidende, Selbst unsichere, Labile, an inneren und äusseren Konflikten Leidende bringt es erhebliche Gefahren wie Angstzustände, Depressionen, Krisen bis zu psychotischen Zusammenbrüchen. H. Lang zitiert ein solches Beispiel:
 

"Suggestiver Methoden befleissigt sich auch die Scientology Church. Beispielsweise sitzen sich hier, wie eine Patientin berichtete, zwei Mitglieder regelmässig für mindestens ein halbe Stunde gegenüber, starren sich dabei wechselseitig in die Augen, ohne ein Wort zu sprechen oder nur das Gesicht verziehen dürfen. Als diese Patientin, die nie zuvor nie nervenärztlich behandelt worden war, bei diesem Arrangement nun statt des Gesichts des gegenübersitzenden Partners ein Portrait wahrnahm, das an eine Gestalt aus dem 16. Jahrhundert erinnerte, und sich zugleich ein Erstickungsgefühl einstellte, erklärte ihr anschliessend der Kursleiter, dass sich jetzt etwas an ihr wiederhole, was im 16. Jahrhundert realiter vorgefallen sei. Denn der Mann, den sie zuvor im Portrait wahrgenommen habe, sei durch Strangulation zu Tode gekommen. Der 'Thetan', der unsterbliche Geist, der damals seinen Körper bewohnt habe, sei jetzt in ihr lebendig geworden. Glaubt der Betreffende an eine solche Interpretation, die ja an das Konzept des 'time track' der Science-Fiction Literatur erinnert, und unsere Patientin war von deren Richtigkeit felsenfest überzeugt, dann verschieben sich hier die Grenzen von Raum und Zeit, öffnen sich dem Blick schwindelnde Perspektiven, löst sich die eigene Identität in der Verschmelzung mit historischen Gestalten auf. Was Wunder, dass die Patientin wenige, Tage später hochpsychotisch in der Klinik aufgenommen werden musste. Sowohl diese entgrenzende Reinkarnationslehre als auch die eine sehr hohe Intimität schaffenden Übungen teilt die Scientology mit der Bhagwan-Bewegung." (H.Lang: "Können Jugendsekten krank machen?" in Destruktive Kulte. herausgegeben von K.G. Karde und M. Müller-Küppers, Verlag für medizinische Psychologie, Göttingen l983, S.83/84.)

Besonders bedenklich ist zudem die Anweisung von Hubbard, der Auditor dürfe sich gar nicht um diese Krisen der Patienten kümmern, sondern müsse ruhig dabei sitzen bleiben und ein Liedlein pfeifen können (S. 226).

Der Anspruch der Dianetik, alle Neurosen, psychosomatischen Krankheiten und auch die funktionellen Psychosen heilen zu können, widerspricht vollständig dem, was sonst über die Wirksamkeit der Psychotherapie aus seriösen Forschungen bekannt ist. Bezeichnenderweise gibt es im Lehrbuch von L.R. Hubbard auch keinerlei nachprüfbare Beschreibungen von Therapieversuchen mit Erfolgskontrollen, sondern blosse Behauptungen, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Dianetik alle. diese wunderbaren Wirkungen habe. Dabei wäre es ein leichtes, z.B. Dianetik mit klientzentrierter Gesprächstherapie zu vergleichen bei randomisierter Zuweisung der Klientele einer psychotherapeutischen Institution an eine der beiden Methoden. Man hat nie gehört, dass L.R. Hubbard seine Methode einem solchen wissenschaftlichen Test unterstellt hätte. Solange das nicht geschieht, wird der Anspruch auf wissenschaftliche Überlegenheit zu Unrecht erhoben.

Vermutlich realisiert der Patient in vielen Fällen nicht, was eigentlich der Zweck der Therapie ist, nämlich nur die Befreiung von angeblich aberrierenden Engrammen bzw. Erinnerungen und nicht etwa Hilfe zur Überwindung seiner Schwierigkeiten und Konflikte. Das einleitende suggestive Prozedere macht ihn für die Manipulationen des Auditors zugänglich und schwächt seine Realitätskontrolle. So lässt er sich allenfalls zum Glauben bekehren, er erinnere vorgeburtliche Ereignisse oder gar solche aus früheren Inkarnationen und wird auf diese Weise zum Anhänger des Systems, er gehöre zu jenen Auserwählten, die über sonst unerreichbare seelische Potenzen verfügten und im Extremfall zu jenen, die einen Atomkrieg überleben würden.

L.R. Hubbard gab sich aber mit Dianetik nicht zufrieden, mit deren Hilfe sich der Mensch von seinen Aberrationen befreien und "clear" werden kann.
 

"Er entdeckte und entwickelte die erstaunlichen Materialien oberhalb von clear, die jetzt als die fortgeschrittenen Kurse bekannt sind. Diese sind die acht OT-Abschnitte (OT= operierender Thetan: Ein Clear, der mit seiner Umgebung so vertraut gemacht worden ist; dass er den Punkt erreicht hat, völlig Ursache Über Materie, Energie, Raum, Zeit und Denken zu sein, und der nicht in einem Körper ist). Sie ermöglichen jemandem, der den Zustand clear erreicht hat, Fähigkeiten wiederzugewinnen, die dem menschlichen Geist nie zuvor exakt zugeschrieben wurden, und zwar als OT, als ein geistiges Wesen, das unabhängig von den Gesetzen des physikalischen Universums wirkt und handelt." (so S. 170/171 in: "Alles über radioaktive Strahlung von einem Kernphysiker und einem Arzt", Scientology Publications Organisation, Kopenhagen, 1. deutsche Auflage 1980).

Den Anhängern wird also suggeriert, sie könnten menschliche Vollkommenheit erreichen mit bisher ungeahnten geistigen und intellektuellen Fähigkeiten als "ein geistiges Wesen", das unabhängig von den Gesetzen des physikalischen Universums wirkt und handelt, wenn sie nur die Kurse absolvierten. Seit 1966 seien L.R. Hubbard diese Einsichten gelungen, die diesen höheren Kursen zugrunde liegen. Freilich bleibt er den Beweis schuldig, dass diese Kurse den vollkommenen Menschen bilden. Wenn es wahr wäre, würden die Erfolge der Scientology für sich selbst sprechen und sie wäre nicht gezwungen, zu so fragwürdigen und ausbeuterischen Methoden zu greifen, wie sie die folgenden Beispiele belegen.

4. Der Fall von Frau S.B.

Diese junge Frau fand eines Tages in ihrem Briefkasten einen Prospekt mit Buchanzeigen der Scientology. Weil sie immer unter einer gewissen Selbstunsicherheit litt, fühlte sie sich vom Hinweis auf Dianetik, einer modernen Wissenschaft der geistigen Gesundheit, wie es hiess, angesprochen und bestellte das Buch per Post. Schon am folgenden Tag erhielt sie einen Telefonanruf des Buchladens der Scientology, sie solle doch persönlich kommen, könne sich dann genauer über ihre Bedürfnisse informieren und einen Test machen, um besser zu erkennen, welche Hilfen sie brauche. Sie liess sich überreden, ging am folgenden Samstag hin, erhielt ein Testblatt mit Fragen zu ihrem Befinden und ihren Eigenschaften, das nach dem Ausfüllen gleich ausgewertet wurde. Man sagte ihr, sie sei sehr intelligent, sie habe die Fähigkeit zum Umgang mit Menschen und sollte das unbedingt verbessern. Ohne lange nach ihrer Zustimmung zu fragen, wurde Frau S.B. in Begleitung ins Zentrum der Scientology-Organisation geschickt, wo sie angehalten wurde, gleich einen weiteren, jetzt umfangreicheren Testbogen auszufüllen. Sie liess sich unter dem Druck der freundlich lächelnden jungen Leute, die sich mit ihr befassten und die sie sofort duzten, zu einem ersten Kurs überreden und gleich zu einem Auditing, das sich über etwa vier Stunden hinzog, wobei immer wieder dieselben Fragen gestellt wurden. Hinterher sei sie vollkommen fertig gewesen, fühlte sich erschöpft, in gewisser Hinsicht aber auch erleichtert, was sie im schriftlichen Erfolgsbericht, der jetzt von ihr verlangt wurde, auch bestätigte. Darauf wurde sie gedrängt, gleich eine neue Abmachung für den folgenden Tag zu treffen. In den folgenden Wochen besuchte sie drei mal wöchentlich eine Auditing-Sitzung von zwei bis vier Stunden Dauer, was ihre Kräfte enorm beanspruchte. Mit massiver Überredung wurde sie dazu gebracht, zwei Bankkredite von Fr. 32'000.-- zu Gunsten der Scientology aufzunehmen. Zins und Amortisation beliefen sich auf Fr. 723.-- monatlich, was rund einem Drittel ihres monatlichen Nettoeinkommens entsprach.

Obwohl ihr Hausarzt wie auch der von Scientology zugezogene Arzt wegen labilem Kreislauf von der Purification-Sauna abrieten, habe man doch versucht, sie dazu zu drängen und verlangt, dass sie sog. Vitamintabletten einnehme. Schliesslich erlitt Frau S.B. nach einem langen Auditing einen eigentlichen Kreislaufkollaps. Sie wollte deshalb nicht mehr weitermachen und zunächst in die schon lange geplanten Ferien gehen. Darauf hätten ihr Angehörige der Scientology täglich telefoniert, sie zu bestimmen versucht, die Ferien aufzugeben oder doch die Ferien in der Scientology Organisation zu verbringen. Frau S.B. blieb nun aber dabei und realisierte auch, als sie in den Ferien Abstand bekam, in welche schwierige finanzielle Lage sie sich mit den Ratenzahlungen gebracht hatte. Nach den Ferien klagte sie einer Vorgesetzten ihr Leid, die ihr einen Artikel des "Beobachters" zur Lektüre gab, worin die Praktiken der Scientology geschildert wurden. Frau S.B. telefonierte nun der Scientology Organisation, sie wolle nicht mehr kommen, worauf sie täglich und oft zu später Abendstunde mit Telefonanrufen bombardiert wurde. Sie solle die Kurse weiterbesuchen, könne viel profitieren, werde rasch dank diesen Fortschritten eine besser bezahlte Stelle finden, so dass sie finanziell entlastet sei. Mit diesen Telefonanrufen und dem hartnäckigen Insistieren habe man sie richtig fertiggemacht.

5. Der Fall von L.B.

Diese junge Frau wurde durch ihren Freund in die Scientology-Organisation eingeführt. Sie besuchte ihn einmal dort und wurde gleich aufgefordert, einen Persönlichkeitstest zu absolvieren. Der Testauswertung folgte ein langes Interview mit dem Ziel, Frau L.B. zu einem Kurs zu überreden. Sie weigerte sich zunächst noch, bei einem späteren Besuch wurde sie vom "Chef" ihres Freundes empfangen, der ihr auseinandersetzte, wie wichtig für ihre Beziehung zum Freund es sei, wenn sie selbst auch bei Scientology mitmache. So verpflichtete sie sich für einen ersten niederen Kurs. Jedermann in der Organisation sei freundlich zu ihr gewesen, alle hätten sie beim Namen genannt. Frau L.B. war überrascht über die wohlwollende Atmosphäre. Nach Abschluss des ersten Kurses wurde sie massiv unter Druck gesetzt, jetzt für weitere Kurse einen Kredit von Fr. 6'000.-- aufzunehmen.

Als nächstes erhielt Frau L.B. einen Purification Rundown verordnet, d.h. eine mehrtägige Kur mit täglich mehrstündigem Saunabesuch und Einnahme von Vitamintabletten. Nach dieser Kur, während welcher sich Frau L.B. nicht unwohl fühlte, wurde sie überredet, einen zweiten Kredit aufzunehmen, jetzt von Fr. 27'000.-- und zwar zu Gunsten ihres Freundes, der wegen Schulden keinen neuen Kredit mehr erhalte. Bald darauf kündigte ihr der Freund die Beziehung, worauf Frau L.B. sich betrogen und "am Boden zerstört" fühlte. Sie erhielt nun Auditing, empfand das Prozedere aber als unangenehm. Es sei nur auf immer den gleichen Sachen herumgehackt worden, was zum Weinen brachte.

Etwa ein Vierteljahr nach ihrem ersten Kontakt mit Scientology wurde Frau L.B. aufgefordert, Mitarbeiterin der Organisation zu werden. Sie fühlte sich geehrt, reduzierte ihre bisherige Arbeitsstelle in einem grösseren Unternehmen auf 50 % und verpflichtete sich für fünf Jahre daneben je 10 1/2 Stunden täglich für Scientology zu arbeiten. Als Mitarbeiterin bekam sie Einblick in die skrupellosen Methoden, potentielle Klienten zu grossen finanziellen Verpflichtungen zu Überreden. Infolge ihrer Doppelbelastung wurde sie übermüdet, isolierte sich zunehmend von ihren bisherigen Freunden und Bekannten und war der regulären Berufsarbeit kaum mehr gewachsen. Zwar war sie zunächst stolz auf ihre Mitarbeit in der Organisation, musste aber realisieren, dass sie kräftemässig der Doppelbelastung nicht gewachsen sei.

Schliesslich geriet sie in einen Erschöpfungszustand und wurde von ihrer Mutter zur Hausärztin geschickt. Die Untersuchung ergab laut schriftlichem Bericht der Ärztin einen psychophysischen Erschöpfungszustand und eine leichte Blutarmut. Frau L.B. war so reduziert, dass die Ärztin sie für zwei Wochen arbeitsunfähig schreiben musste. Trotz Mahnungen der Ärztin wollte Frau L.B. ihre Situation nicht neu ordnen. Erst neun Monate später meldete sie sich in heller Panik erneut bei der Hausärztin. Bei der Konsultation befand sie sich in einem schweren psychischen Ausnahmezustand mit Verfolgungs- und Todesängsten. Was war geschehen? In den vergangenen Monaten hatte Frau L.B. wiederholt versucht, ihr Engagement als Mitarbeiterin der Organisation zu reduzieren, weil sie der Doppelbelastung nicht gewachsen sei. Jedesmal sei sie überredet und moralisch unter Druck gesetzt worden, weiterzumachen. Wenn sie in diesem Leben gerettet werden wolle, müsse sie dabeibleiben. Sie erhielt eine Schrift von L.R. Hubbard zur Lektüre, in der beschrieben wurde, wie schlecht es jenen Menschen gehen werde, die sich von Scientology abwendeten. Frau L.B. war sehr beeindruckt davon; blieb aber jetzt bei ihrem Verlangen, mit Scientology aufzuhören. Sie entschloss sich, ihr restliches Guthaben aus den Krediten zurückzufordern, liess sich aber zunächst überreden, das Geld vorläufig stehenzulassen. Frau L.B. war nun sehr verunsichert, fühlte sich einerseits den Anforderungen rein physisch nicht gewachsen, hatte andererseits aber auch Zweifel an der ganzen Organisation, realisierte die Diskrepanz zwischen den hohen Idealen, die verkündet werden und der schamlosen Geldmacherei, indem Leute zu finanziellen Verpflichtungen gedrängt wurden, die ihre Möglichkeiten offensichtlich überstiegen und sie in Schulden, brachten. Die Zugehörigkeit zur Organisation hob aber auch ihr Selbstgefühl, sie sah sich als Teil einer Gruppe, die hohe ethische Werte propagierte. Sie hatte deshalb auch Schuldgefühle, als sie sich zum Ausstieg entschloss. In dieser Situation besuchte sie einen Kinofilm, in welchem u.a. dargestellt wurde, wie jemand für Taten, die er in einem früheren Leben begangen haben sollte, vom Teufel bestraft wurde. Diese Geschichte weckte die Erinnerung an die in der Schrift von L.R. Hubbard gelesene Drohung gegen Abtrünnige der Scientology und löste einen akuten Angstzustand aus, der laut Auskunft der behandelnden Ärztin psychotisches Ausmass hatte. Mit Hilfe regelmässiger psychotherapeutischer Sitzungen klang dieser Zustand im Laufe einiger Wochen wieder ab und Frau L.B. fand zu einer realitätsgerechten Einschätzung ihrer Situation zurück.

6. Die Fälle S.F. und L.S.

Diese Personen, die als weiterer Beleg für individuelle Erfahrungen mit Scientology nur kurz erwähnt werden sollen, haben beide eine Zeitlang aktiv in Scientology-Organisationen mitgearbeitet, wobei sie zur weiteren Ausbildung in einer der Zentralen der Organisation in Flag/Florida, in USA weilten. Beide beschrieben, wie sehr die Organisation von ihnen Besitz ergriffen habe, indem durch Kurse und andere Aktivitäten ihre freie Zeit so sehr beansprucht wurde, dass für bisherige Aktivitäten kein Raum mehr blieb. Das führte zu Isolierung, zum Teil auch zu Übermüdung und körperlicher Überforderung. Beide konnten sich schliesslich wieder von Scientology lösen, vor allem, weil sie die Widersprüche realisierten, die Diskrepanz zwischen den hohen ethischen Ziele, die wegleitend sein sollten und dem rücksichtslosen Verhalten in finanziellen Dingen. Vor allem L.S. fühlte sich stark unter Druck gesetzt. Man habe auf alle Weise versucht, den Kontakt zu seinen Angehörigen zu erschweren oder gar zu unterbinden und ihn zu isolieren. Man kann nicht sagen, dass diese beiden Personen abgesehen von den finanziellen Einbussen geschädigt worden seien. Aber sie sind Beispiele für die Art und Weise, wie Scientologen Klienten anwerben, diese systematisch bearbeiten, moralisch unter Druck setzen, sie von ihren bisherigen Bezugspersonen zu isolieren und in Abhängigkeit zu bringen suchen.

7. Beurteilung und Beantwortung Ihrer Fragen

Zu 1. und 2.

Ich fasse die Antwort auf Ihre Fragen, 1. und. 2. zusammen. Im Zeitpunkt meiner Exploration war Frau L.B. wieder psychisch unauffällig. Sie konnte anschaulich erzählen, gab auf Fragen verständliche Antworten. Sie schien von ihren Erlebnissen in der Scientology Distanz gewonnen zu haben. Sie fühlt sich aber heute noch in einer schwer zu beschreibenden Weise beeindruckt und kann nicht verstehen, dass sie sich entgegen ihrem eigenen Interesse so einziehen liess. Körperlich fühle sie sich seither irgendwie verändert, habe diverse Beschwerden, aber ohne dass eigentliche Befunde vorliegen würden. Ihr Freund sage, sie sei labil, was wohl richtig sei.

Aus ihrer Beschreibung und dem an mich adressierten Schreiben der Hausärztin, vom 29.3.1988 geht m. E. deutlich hervor, dass sie ausgelöst durch Verfolgungsängste und Schuldgefühle im Zusammenhang mit ihrem Austritt aus der Scientology-Organisation in einen schweren psychischen Ausnahmezustand geriet, in welchem sie vorübergehend die Realitätskontrolle verloren hat. Das Auftreten dieses psychotischen Zustandes zeigt, wie weitgehend sie in eine seelische Abhängigkeit von der Organisation geraten war. Nur dank der Hilfe ihrer Mutter und der Hausärztin konnte sie sich relativ rasch aus dieser Krise befreien. Entsprechend den Praktiken der Scientology konnte sie von der Organisation, die zwar "Wege zur geistigen Gesundheit" anbietet, keine Hilfe bekommen, weil – wie weiter vorn zitiert – jeder Versuch des Widerstandes gegen Scientology von L.R. Hubbard als grundsätzlich irreal und unvernünftig bezeichnet wurde.

Aufschlussreich in dieser Beziehung ist die Ethik der Scientology (siehe dazu L.R. Hubbard: "Einführung in die Ethik der Scientology", New Era Publications, Kopenhagen, 1. deutsche Auflage 1981), wo jede Kritik an Scientology und selbständiges Denken als Vergehen oder gar Verbrechen gegen die Organisation bezeichnet werden kann. Aus den Ethik-Richtlinien wird auch verständlich, warum mit so skrupellosen Methoden Patienten und Kursbesucher zu grossen finanziellen Verpflichtungen gedrängt werden. So heisst es S. 84 der Einführung in die Ethik, Unzulänglichkeit oder Absinken der Einnahmen oder des Publikumsverkehrs in einer Sektion, Einheit, Organisation etc. sei ein allgemeines Vergehen. Dazu heisst es S. 108 der Einführung in die Ethik weiter:
 

"In der Erledigung unserer Angelegenheiten in der Scientology halten wir uns in allen Fragen der Belohnung und Bestrafung strikt an die obigen Grundsätze" (sie wurden auf den vorhergehenden Seiten dargelegt) "und wenden die folgenden Richtlinden an: Wir belohnen Produktion und hohe (oder steigende) Statistiken und bestrafen Nichtproduktion und niedrige (oder sinkende) Statistiken. Immer. Ausserdem tun wir dies ausschliesslich aufgrund von Statistiken – nicht aufgrund von Gerüchten oder Persönlichkeiten oder persönlichen Beziehungen. Und wir vergewissern uns, dass jeder eine Statistik irgendeiner Art hat. Wir befördern nur nach Statistiken. Wir bestrafen nur niedrige Statistiken".

Diese Richtlinien machen die folgenden Aussagen von Frau L.B. verständlich. Jeweils am Donnerstag jeder Woche werde die Statistik erstellt, wieviele Abschlüsse, Verkäufe, begonnene Kurse die Organisation vorweisen könne. Weil sie aufgrund dieser Statistik bewertet und – entsprechend den eben erwähnten ethischen Richtlinien belohnt oder bestraft wird. Frau L.B. beschrieb die grauenhafte Hektik an diesem Tag in der Organisation. Alle versuchten per Telefon oder Besuche noch schnell etwas zu erreichen. Dem Aussenstehenden drängt sich der Gedanke auf ein unschönes, grob materielles Interesse beherrsche diese Organisation, die so hohe ethische Ziele propagiert.

Zu 3.

Ich habe bei der Beschreibung von Theorie und Therapie der Dianetik weiter vorn dargelegt, dass die Vorstellung, Neurosen, psychosomatische Erkrankungen und funktionelle Psychosen würden ausschliesslich durch frühe pathogene Erlebnisse, ja vorgeburtliche Widerfahrnisse verursacht, im Lichte der heutigen psychologischen und psychiatrischen Forschungsergebnisse völlig unhaltbar ist. Seelische Störungen können in der Regel nur multifaktoriell oder multikonditional verstanden werden. Alle Theorien, die ein monokausales Konzept vertreten, sind bisher gescheitert. Das hat auch der frühe Freud erfahren. Ganz abwegig ist – ich wiederhole weiter vorn Gesagtes- die Vorstellung, durch die Bewusstmachung früher Erlebnisse eine Heilung der meisten seelischen Störungen bewirken zu können. Das widerspricht den Ergebnissen jahrzehntelanger, seriöser Psychotherapieforschung. Die Heilung solcher Störungen im Laufe einer Therapie ist in aller Regel ein komplexer Vorgang, bei welchem die Beziehung zum Therapeuten eine entscheidende Rolle spielt. Seltene Ausnahmen bestätigen nur die Regel.

Zu 4.

Im weiter vorn zitierten Lehrbuch der Dianetik von L.R. Hubbard gibt es keinerlei Beweise für die Richtigkeit seiner Theorie und Therapie. Mehrfach wird zwar auf Beobachtungen und Befunde an Personen hingewiesen, welche diese Richtigkeit bestätigen würden. Beschreibungen, die eine Nachprüfung erlaubten, fehlen aber. Ich weiss nicht, ob L.R. Hubbard in anderen Publikationen Beschreibungen geliefert hat, wie sie von seriösen wissenschaftlichen Veröffentlichungen verlangt werden müssen. Die Vorstellungen betreffend Gedächtnisbanken, den drei Arten von Mind und anderes sind ein theoretisches Konstrukt, das in den Bereich der Metapsychologie gehört, d.h. unmittelbarer Beobachtung und Erfahrung nicht zugänglich, sondern nur theoretisch erschlossen ist.

L.R. Hubbard nennt Scientology das einzige funktionierende System, das der Mensch habe. "Sie hat bereits Menschen zu einem höheren IQ, einem besseren Leben und all diesen Dingen geführt. Kein anderes System hat das erreicht" (Einführung in die Ethik, S.117). Aber auch dafür bleibt er die Beweise schuldig, jedenfalls in den bisher zitierten Schriften. Dabei wäre es ohne weiteres möglich, eine Erhöhung des IQ durch Auditing und Kurse der Scientology einwandfrei zu bestätigen oder zu widerlegen, weil der IQ mit Hilfe von geeigneten Tests eindeutig bestimmt werden kann. Solange keine nachprüfbaren Beweise für diese Wirksamkeit der Methode vorgelegt werden, handelt es sich um blosse propagandistische Behauptungen, geeignet bei potentiellen Klienten falsche Hoffnungen zu erwecken.

Zu 5.

Im Kapitel über die Risiken der dianetischen Therapie bin ich bereits ausführlich auf die Gefahren dieser Methode eingegangen. Wesentliche Punkte sind dabei, dass der Patient keine Hilfe in seinen Konflikten und Schwierigkeiten erhält und dass die Therapie auf blosse Abreaktion abzielt. Zudem ist höchst fragwürdig, wie weit das E-Meter dazu einen Massstab geben kann. Besonders bedenklich ist aber die offen verfolgte Tendenz, den Patienten von seinen Eltern und seiner Familie zu isolieren mit der völlig einseitigen,  ja absurden Schuldzuweisung an diese für jedes frühere Fehlverhalten des Patienten.

Zu 6.

Es stellt sich die Frage, ob die Methoden der Scientology, speziell des Auditing mit "Gehirnwäsche" zu vergleichen seien. Dieser Begriff entstammt der Praxis totalitärer Regime und wurde zur Umerziehung politischer Gegner und besonders von Kriegsgefangenen benützt. Angestrebt wird die Zerstörung bisheriger Werte und die Einimpfung neuer Überzeugungen durch ein Indoktrinationssystem. Besondere Techniken waren das Aufsuchen von schwachen Stellen im System der bisherigen Überzeugungen und von "wunden Punkten" im Lebenslauf des Einzelnen, die Erweckung von Schuldgefühlen, die Suggestion von Zwang zur Beteiligung und endlich das Beginnen mit kleinen, kaum abzuschlagenden Forderungen und der Steigerung der Ansprüche mit dem Grad der bereits vollzogenen Kollaboration (zitiert nach H. H. Kornhuber: "Psychologie und Psychiatrie der Kriegsgefangenschaft" in: Psychiatrie der Gegenwart, herausgegeben von H.W. Gruhle, R. Jung, W. Mayer-Gross und M. Müller, Band 3, Springer-Verlag, Berlin 1961, speziell S. 680ff). Eine gewisse Analogie ist wohl nicht zu übersehen bezüglich dem psychologischen Vorgehen. Jedoch arbeiteten totalitäre Regime gleichzeitig mit massiven Zwangsmitteln wie Einzelhaft, physischen Quälereien, gewaltsamem Schlafentzug und anderem. Erst auf diesem Boden entfaltete die Indoktrination ihre besondere Wirksamkeit. Es ist klar, dass dieser Aspekt der Scientology fehlt. Offensichtlich ist hingegen die autoritäre Struktur der Scientology, die Tendenz zur Isolierung der Klienten von ihren bisherigen Bindungen, der Gruppen zwang, der ausgeübt wird und den Frau L.B. klar beschrieben hat (siehe dazu das von Ihnen aufgenommene Protokoll). Eine allgemeine Beschreibung dieser Praktiken, nicht nur der Scientology, gibt L.J. West: "Die Kulte als Problem der Öffentlichen Gesundheit" in: Destruktive Kulte, herausgegeben von K.G. Karde und M. Müller Küppers, Verlag für medizinische Psychologie, Göttingen 1983, S. 47 - 64.) L.J. West ist Professor der Psychiatrie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles und ein besonderer Kenner der religiösen Kulte. Obwohl also Dianetik und Scientology nicht mit "Gehirnwäsche" gleichgesetzt werden dürfen, drängt sich doch der Schluss auf, dass die aufgezeigten subtilen Analogien erhebliche Risiken für die Klienten bedeuten. Wie weiter vorn S. 13 erwähnt, kann Auditing durch die rücksichtslose Art, wie es nach der Anweisung von L.R. Hubbard betrieben wird, zu Angstzuständen, Depressionen, Selbstwertkrisen, ja psychotischen Zusammenbrüchen führen. Besonders bedenklich ist dabei, dass solche Zustände von den Scientologen gar nicht als solche wahrgenommen werden und deshalb auch keine adäquate Hilfe geleistet wird. Gemäss den Anweisungen von L.R. Hubbard soll einfach mit dem Auditing weitergefahren werden. Hinzu kommt, dass professionelle medizinische Hilfe von den Scientologen bei solchen Zwischenfällen grundsätzlich abgelehnt wird. Aber nicht nur die spezielle Methode des Auditing ist in der Hand des psychologisch/psychiatrischen Laien riskant, das gleiche gilt für die autoritäre Struktur der Scientology allgemein, wie der Fall von Frau L.B. klar belegt. Sie ist auch keineswegs ein Einzelfall; die übrigen von mir befragten Betroffenen haben dies bezüglich ähnliche Erfahrungen gemacht, nur waren diese widerstandsfähiger und liessen sich weniger einschüchtern. Wie schon weiter vorn gesagt, ist Dianetik und Scientology wohl nur für sehr stabile, selbstsichere, eher oberflächliche Naturen ohne Risiko, weil diese sich leicht anpassen und dem Gruppendruck genügend widerstehen können oder dann sich ganz mit der Organisation identifizieren und darin neue narzisstische Bestätigung finden.

P. S.

Erst nach Ausarbeitung des vorstehenden Gutachtens erhielt ich Einsicht in das nervenärztliche Gutachten der Forensisch-psychiatrischen Abteilung der psychiatrischen Universitätsklinik München, unterzeichnet von Prof.Dr. W. Mende und Dr. N. Nedopil, datiert vom 21.12.84 und adressiert an das Kreisverwaltungsreferat, Hauptabteilung 3, 8000 München, betreffend die Verwaltungsstreitsache gegen die Scientology-Vereinigung München. Dieses Gutachten kommt bezüglich der Praktiken der Scientologen zu weitgehend den gleichen Schlüssen, wie ich sie vorstehend geschildert habe. Neu gegenüber meinem Gutachten ist die Beurteilung des von den Scientologen verwendeten Persönlichkeitstests, mit welchem Klienten angeworben werden. Ich selbst habe den Fragebogen, vermutlich den gleichen, den auch die von mir befragten Betroffenen am Anfang ihres Kontaktes mit Scientology ausgefüllt haben, nicht gesehen.

Dieser Test wurde in einem speziellen Gutachten derselben Klinik, datiert vom 27.12.84 und unterzeichnet von Dr.phil. J. Weber, klinischer und forensischer Psychologe, beurteilt, worauf sich das Gutachten Mende/Nedopil bezieht. Der Test wird als zur Feststellung psychischer Störungen im Einzelfall ungeeignet bezeichnet. Weil entsprechende Belege in der wissenschaftlichen Literatur nicht publiziert sind, bestehen erhebliche Zweifel, dass es sich um ein wissenschaftlich anerkanntes Testverfahren handelt. Zudem haben konkrete Fallbeispiele widersprüchliche Resultate ergeben. Ein verantwortliches Beurteilen der Therapiebedürftigkeit eines Klienten sei mit diesem Test in der von den Scientologen gehandhabten Weise nicht möglich.  

Mit freundlichen Grüssen

(Prof. Dr.med. H. Kind)

 

Copyright© des Textes bei Prof.Dr.med. Hans Kind; HTML durch Ilse Hruby


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