Kapitel 18Die
Gesandten
Gottes
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Arthur wurde allgemein als "kleiner Terrorist" bezeichnet – er tobte auf dem Schiff herum, wie es ihm beliebte, stellte Unfug an wie Wasserkübel in besetzte Toiletten hineinzuwerfen – ohne Angst davor zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch gab es auch Momente, in denen selbst der ungestüme Arthur ein Gefühl des Verlustes verspürte. Doreen Smith und Arthur waren im gleichen Alter und die dicksten Freunde. "Er sagte oft zu mir, dass er sich wünschte, dass sein Vater mehr Zeit für ihn hätte", sagte Doreen. "Ich glaube, wir kamen alle früher oder später an den Punkt, wo wir uns ein normaleres Leben wünschten." Arthurs spezieller
Aufgabenbereich an Bord war, auf die
Motorräder seines Vaters zu schauen, vor allem auf eine riesige
Harley Davidson, die Hubbard von der Org in Toronto geschenkt bekommen
hatte. Eines Nachmittags trug der Kommodore Doreen auf, sie solle sich
vergewissern, dass er die Harley blitzblank geputzt hatte; sie sollte
mit einem Taschentuch über die Schutzbleche und den Tank fahren
und es dann zu ihm zurückbringen, um es ihm zu zeigen. Sie kam mit
einem schwarzen Schmutzfleck auf dem Taschentuch zurück. Hubbard
war erbost. "Du gehst und weist ihm "liability" zu", schrie er Doreen
an, "er erfüllt seine Pflicht nicht." Doreen war erleichtert,
dass Arthur die Reaktion seines
Vaters auf die leichte Schulter nahm; auch schien es ihm nichts
auszumachen, einen grauen Fetzen um seinen Arm zu tragen. Doch das war
noch nicht das Ende der Angelegenheit. Mary Sue, die wild darauf
bedacht war, ihre Kinder zu schützen, hatte das Gefühl, es
wäre Doreens Fehler, dass Arthur diesen Zustand zugewiesen
bekommen hatte. Später an diesem Nachmittag packte sie sie am Arm
und rüttelte sie durch: "Du kleines Scheusal", zischte sie und
grub dabei ihre Fingernägel in den Arm des Mädchens, "du
zerstörst meine Familie." Die Messenger waren jedoch sehr loyal untereinander. Während Doreen immer noch schluchzte, rannte eines der Mädchen zum Kommodore und erzählte ihm, was passiert war. Als Doreen dann auf ihren Posten vor Hubbards Büro zurückkehrte, sah sie Mary Sue eintreten und ihn dann brüllen: "Schliess die verdammte Tür!" Durch die gravierten Gläser konnte sie Mary Sues Silhuette vor dem Schreibtisch stehen sehen, während der Kommodore sie anschnautzte. Doreen konnte nicht alles verstehen, was er sagte, doch sie konnte ihn aus vollem Hals brüllen hören "Niemand massregelt meine Messenger, ist das klar?" Mary Sue murmelte eine Zustimmung. "Ja, was?" brüllte er wieder. "Ja, mein Herr." antwortete sie schlau. Draussen mussten sich die Messenger überwinden, ihr Ohr nicht ans Schlüsselloch zu pressen, doch sie hatten genug gehört um ganz aufgeregt zu sein. |
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Ein paar Monate später verärgerte Diana ihren Vater auf irgendeine Weise. Hubbard leierte einen langen Verweis für sie runter, den der Messenger zu überbringen hatte und fügte dann am Ende hinzu: "Ok, und jetzt geh und "Spuck ihr ins Gesicht." Der Messenger war ein kleines dunkeläugiges Mädchen namens Jill Goodman; sie war dreizehn Jahre alt. Sie rannte das Deck entlang zu Dianas Büro, platzte hinein und spuckte ihr mitten ins Gesicht, bevor sie dann ihre Nachricht losbrüllte. Diana fing wie wild zu schreien an. Mary Sue, die sich gerade im angrenzenden Büro befunden hatte, stürmte herein, als sich ihre Tochter gerade die Spucke aus dem Gesicht wischte. Sie packte Jill am Hals, als ob sie sie erwürgen wollte, und fing ebenfalls zu kreischen an. Jill begann zu weinen, und sobald Mary Sue sie losliess, rannte sie zum Kommodore um ihm Bericht zu erstatten. Es folgte ein weiterer erbitterter Streit zwischen den Eheleuten, der damit endete, dass Mary Sue ihre Schuhe nach dem unglückseligen Messenger warf.
Der Kommodore war bald darauf in ein weiteres häusliches Drama verwickelt, das jedoch völlig anderen Natur war und ganz überraschend kam. Er erhielt Nachrichten aus Los Angeles, dass seine Tochter Alexis Kontakt mit ihm aufnehmen wollte. Die inzwischen 21jährige Alexis lebte mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater Miles Hollister auf der Hawaii-Insel Maui. Obwohl ihre Mutter nur selten über ihren Vater gesprochen hatte – Sara hatte immer noch Angst vor ihrem ersten Mann und sah ihre Scheidung als eine geglückte Flucht aus seinen Fängen an – hatte Alexis doch genug über L. Ron Hubbard gelesen, um ihn als eine Art romantischer Figur zu sehen. Sie war natürlich neugierig, ihn zu treffen. Anlässlich eines Besuches in England 1970 rief sie in Saint Hill an in der Hoffnung ihn zu sehen, musste jedoch enttäuscht hören, dass er nicht anwesend war. Ein Jahr später, während der Sommerferien ihres College, schrieb sie ihm via die Scientology Church in Los Angeles.
Als Alexis an ihr College in den USA zurückkehrte, hörte sie, dass ein Mann sie in einem örtlichen Motel erwartete, der sie zu treffen wünschte. Sie lud ihn zu sich ins Studentenheim ein, wo er sich als Bote von L. Ron Hubbard vorstellte und sagte, er hätte ihr eine Erklärung vorzulesen. Während sich Alexis wie benommen niedersetzte, las ihr der Mann die Erklärung vor, in der Hubbard kategorisch abstritt, ihr Vater zu sein: "Deine Mutter war gegen Ende des Jahres 1948 in Savannah als Sekretärin bei mir ... Im Juli 1949 war ich in Elizabeth, New Jersey, und schrieb an einem Film. Dort tauchte sie dann mittellos und schwanger auf." Hubbard deutete an, dass Jack Parsons ihr Vater war, doch aus Grossherzigkeit hatte er ihre Mutter aufgenommen, um ihr in "ihren Schwierigkeiten" beizustehen. Später, so behauptete er weiter, kam er von Palm Springs, Kalifornien, herauf, wo er damals lebte und fand Alexis verlassen vor; sie war erst ein Kleinkind, ein "süsses kleines Ding", und so hatte er sie zwei Jahre lang auf seinen Reisen mitgenommen.
Hubbard teilte Alexis mit, dass ihre Mutter im zweiten Weltkrieg ein Nazi-Spion gewesen war und mutmasste, dass diese ganze Sache mit der Scheidung ein fadenscheiniges Täuschungsmanöver ihrerseits war, um die Kontrolle über Scientology zu bekommen – "Sie [Sara und Miles Hollister] hatten eine beträchtliche Publicity in den Zeitungen, nichts davon ist übrigens wahr, und heuerten den teuersten Scheidungsanwalt der USA an um mich zu verklagen und dann im Vergleich die Stiftung in Los Angeles zu bekommen. Dies erwies sich als Rätsel, denn wenn es keine legale Heirat gab, dann kann es auch keine Scheidung geben."
Um diese Zeit begann eine andere junge Frau dem Kommodore Probleme zu verursachen. Susan Meister, eine 23-jährige Frau aus Colorado, war im Februar 1971 zur Mannschaft der Apollo gestossen; sie war durch Freunde zu Scientology gekommen, als sie in San Francisco gearbeitet hatte. Als sie auf dem Schiff ankam, war sie eine typische eifrige und optimistische Bekehrte; sie schrieb oft nach Hause und drängte ihre Familie, Scientology ebenfalls beizutreten. "Ich hatte gerade eine Auditing Session", schrieb sie am 5. Mai. "Ich fühle mich grossartig, grossartig, grossartig und mein Leben expandiert, expandiert und es ist alles Scientology. Beeilt euch! Macht schnell, schnell. Seid gut zu euch – fangt noch heute damit an. Es ist wertvoller als Gold, es ist das beste, was euch jemals, jemals, jemals passieren kann. Mit Liebe – Susan"
In ihrem nächsten Brief vom 15. Juni hatten die Verschwörungstheorien des Kommodore offensichtlich schon Eindruck auf sie gemacht. "Ich kann euch nicht genau sagen, wo wir sind. Wir haben Feinde, die ... nicht wollen, dass wir Erfolg haben und den Menschen hier auf diesem Planeten Freiheit und Selbst-Bestimmtheit zurückgeben. Wenn diese Leute herausfinden würden, wo wir uns gerade befinden, würden sie versuchen uns zu zerstören.... "
Zehn Tage später, als die Apollo im marokkanischen Hafen Safi vor Anker lag, sperrte sich Susan Meister in ihrer Kabine ein, presste einen 22er Revolver an ihre Stirn und drückte ab. Man fand sie um 19.35 auf ihrem Bett liegend; sie trug das Kleid, das ihr ihre Mutter zum Geburtstag geschickt hatte, hatte ihre Arme gekreuzt und den Revolver auf ihrer Brust. Ein Abschiedsbrief lag auf dem Fussboden.
Die lokale Polizei wurde verständigt, doch alarmierte der Tod eines amerikanischen Bürgers unvermeidlicherweise auch das amerikanische Konsulat und setzte die Apollo damit genau der Aufmerksamkeit aus, die Hubbard seit Jahren zu vermeiden versucht hatte. In Befolgung von Hubbards oft wiederholter Doktrin ging die Sea Org zum Angriff über. Susan Meister, die auf ihre Freunde eher ruhig und reserviert wirkte, wurde als instabile ehemalige Drogenabhängige porträtiert, die schon mehrere Selbstmordversuche unternommen hatte; Peter Warren, der Kapitän der Apollo, deutete an, dass kompromittierende Photos von ihr gefunden worden waren.
Diese Verleumdungstaktik wurden alsbald auch auf William Galbraith, den US Vizekonsul in Casablanca, ausgeweitet, der nach Safi gekommen war, um Nachforschungen zu dem Vorfall anzustellen. Am 13. Juli hatte er ein Mittagessen mit Warren und Joni Chiriasi, einem anderen Crewmitglied, im Sidi Bouzid Restaurant in Safi und wurde dann auf dem Schiff herumgeführt. Danach schrieben sowohl Warren als auch Chiriasi eidesstattliche Erklärungen, die Galbraith vorwarfen, das Schiff bedroht zu haben – "Er sagte, dass Nixon die CIA beauftragen würde, das Schiff zu versenken oder anderswie zu sabotieren, wenn es zu einem Ärgernis oder einer Peinlichkeit für die Vereinigten Staaten werden würde". Galbraith hatte zudem angeblich über die Scientology Church gesagt, dass das ein "Haufen Verrückter" wäre und spekuliert, dass das Schiff möglicherweise als Bordell oder Casino oder für Drogentransporte genutzt würde.
Am nächsten Tag schickte Norman Starkey, der Kapitän der Apollo, Kopien der eidesstattlichen Erklärungen an das Senatskomitee für ausländische Beziehungen – zusammen mit einem Begleitbrief, in dem er sich darüber beschwerte, dass Galbraith damit gedroht hatte, "die Besatzung des Schiffes – 380 Männer, Frauen und Kinder, von denen viele Amerikaner sind – zu ermorden." Weitere Briefe gingen an den Generalbundesanwalt John Mitchell und an den Geheimdienst, und Kopien dieser sämtlichen Briefe an den Präsidenten Nixon, der gerade im Watergate Skandal versank.
Einige Tage später traf Susan Meisters Vater in Casablanca ein, um Nachforschungen über den Tod seiner Tochter anzustellen. Doch kam er aufgrund des Desinteresses der marokkanischen Behörden nicht vom Fleck, die sich mehr für einen kürzlich versuchten Staatsstreich interessierten als für einen einsamen Amerikaner, der sich nach seiner Tochter erkundigte. Meister, der sich weigerte zu glauben, dass seine Tochter Selbstmord begangen hatte, konnte nicht einmal herausfinden, wo ihr Körper beigesetzt wurde und so wandte er sich in seiner Verzweiflung an Hubbard um Hilfe.
Später schrieb er einen entmutigenden Bericht von seinem Besuch an Bord des Schiffes, bei dem er von Peter Warren eskortiert worden war: "Wir kamen durch die bewachten Tore aufs Hafengelände und konnten dann einen ersten Blick auf Hubbards Schiff Apollo werfen. Es schien alt zu sein; als wir das Schiff betraten, salutierten uns die Mädchen an Bord. Alle trugen zivile Arbeitskleidung. Die meisten war ziemlich jung. Auf dem Schiff zeigte man uns als erstes das Heck, das als Leseraum benutzt wurde; dort sassen mehrere Leute in Sesseln und lasen Bücher. Die Erwähnung von Susan schien den Leuten an Bord zu missfallen ... man zeigte uns Susans Quartier auf den unteren Decks im Heck des Schiffs, wo ungefähr 50 Leute in Bretterkojen schliefen: Susan hatte in ihrem Brief erwähnt, dass sie eine Kabine ganz vorne mit einer weiteren Person teilte. Dann zeigte man uns die Kabine neben der des Lotsen, wo der angebliche Selbstmord stattgefunden hatte... Mehr durften wir nicht sehen. Ich bat um ein Gespräch mit Hubbard, da er ja zu dieser Zeit an Bord war. Warren sagte, dass er nachfragen würde. Er kam nach etwa einer halben Stunde zurück und sagte, dass Hubbard es abgelehnt hatte, mich zu treffen."
Nach seiner Rückkehr nach Amerika entdeckte Meister zu seiner Überraschung (die dann in Verärgerung umschlug), dass seine Tochter schon begraben worden war, noch bevor er in Marokko eingetroffen war. Er liess den Körper exhumieren und zurück in die USA bringen, doch bevor die sterblichen Überreste von Susan Meister ihre letzte Ruhe finden konnten, wurde noch ein letzter schmutziger Trick gespielt: Meister zuständige lokale Gesundsheitsbehörde in Colorado bekam einen Brief, in dem vor einer Cholera-Epidemie in Marokko gewarnt wurde, die bis dahin angeblich 200-300 Opfer gefordert hatte. "Ich wurde darauf aufmerksam gemacht", so der verleumderische Brief, " dass die Tochter eines George Meister in Marokko gestorben ist, entweder durch einen Unfall oder durch die Cholera – vermutlich jedoch das letztere." [12]
Dincalci, der auf der Basis einer sechsmonatigen Erfahrung als Krankenpfleger vor seinem Eintritt in Scientology zum ärztlichen Offizier ernannt worden war, wusste nicht, was er tun sollte. Er war zutiefst schockiert gewesen, als er 1970 auf dem Schiff angekommen war und sah, dass Hubbard genauso wie andere Sterbliche einfach krank wurde; denn er hatte doch das Dianetik-Buch gelesen, in dem es hiess, dass man die meisten Leiden mit der Kraft des Geistes heilen konnte. In seiner ersten Woche als ärztlicher Offizier begann Hubbard sich darüber zu beklagen, dass er sich unwohl fühlte; Dincalci war sehr überrascht, als ein Doktor gerufen wurde. Er verschrieb eine Reihe von Schmerztabletten und Antibiotika, doch kümmerte sich Dincalci natürlich nicht darum, sie aus der Apotheke zu holen; er war davon überzeugt, dass Ron sie nicht brauchen würde. "Ich dachte", so sagte er, "dass er als Operierender Thetan seinen Körper und seine Schmerzen völlig unter Kontrolle hätte. Doch als er entdeckte, dass ich seine Schmerztabletten nicht besorgt hatte, rastete er aus und begann mich anzuschreien." [13]
Aus Angst, einen weiteren Fehler zu machen, suchte Dincalci wegen der Krankheit des Kommodore bei Otto Roos um Rat, einer der in der "Tech" weitest fortgeschrittenen Scientologen an Bord. Roos wagte es, die Meinung zu vertreten, dass das Problem von einem Ereignis in der Vergangenheit stammte, das nicht ordnungsgemäss auditiert worden war. Der einzige Weg das herauszufinden war, sich durch alle Ordner zu wühlen, in denen Rons Auditing Sessions aufgezeichnet waren.
Hubbard erklärte sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden und fügte an Otto Roos gewandt hinzu: "Ich bin erfreut, dass endlich mal jemand die Verantwortung für mein Auditing übernimmt." Roos fing also an, die Ordner aus Saint Hill sowie allen anderen Scientology Niederlassungen in den USA anzufordern, in denen Hubbard auditiert worden war. Es gab Hunderte davon, die bis ins Jahr 1948 zurückreichten; Roos kalkulierte, dass sie übereinander gelegt einen Stapel von an die 2,50 m Höhe ergeben würden. Er begann also, sich durch die Ordner durchzuarbeiten und entdeckte dabei zu seiner Beunruhigung diverse "zweifelhafte Anzeigen" – Momente, bei denen das E-Meter enthüllte, dass Hubbard etwas zu verstecken hatte.
Gegen Ende März, während Roos immer noch über den Ordnern brütete, kam ein Messenger in seine Kabine und teilte ihm mit, dass der Kommodore alle seine Ordner sehen wollte. Roos war perplex: Es gab ein unverrückbares Gesetz in Scientology, dass absolut niemand, wer auch immer er sei, seine eigenen Ordner sehen durfte. Er sagte also dem Messenger, dass dies nicht möglich sei. Ein paar Minuten später flog die Tür auf, zwei kräftige Crewmitglieder stürzten herein, packten die Aktenschränke und schwankten mit ihnen hinaus.
Es vergingen zwei Tage, dann erhielt Roos von einem Messenger die Nachricht, dass der Kommodore ihn sehen wollte. Sobald der Holländer Hubbards Büro betrat, konnte man sehen, dass der Kommodore eine plötzliche Heilung erlebt hatte. Hubbard sprang mit einem Brüller von seinem Schreibtisch auf und holte zu einem Faustschlag aus, der von einem wilden Tritt gefolgt wurde. Er schrie derartig wild herum, dass Roos nicht ausmachen konnte, was er eigentlich sagen wollte; er verstand nur, dass es etwas mit den "zweifelhaften Anzeigen" zu tun hatte. Mary Sue sass mit versteinertem Gesicht im Büro und schaute zu. Als Hubbard sich ein wenig beruhigt hatte, wandte er sich an sie und fragte sie in ihrer Eigenschaft als sein Auditor, ob er jemals "zweifelhafte Anzeigen" gehabt hatte. Mary Sues Ausdruck veränderte sich nicht. "Nein Sir", sagte sie, "Sie hatten niemals derartige Anzeigen."
Roos konnte Ordner sehen, die zerzaust auf Hubbards Schreibtisch lagen; sie waren dort geöffnet, wo er die "Anzeigen" notiert hatte, deren Existenz Mary Sue gerade abgestritten hatte. Er sagte nichts. Hubbard schritt aufgebracht durch den Raum und schnaubte, dass Roos "unzweifelhaft dem ganzen Schiff davon erzählt hatte" und dass jetzt alle darüber redeten und lachten. Tatsächlich jedoch hatte Roos niemandem davon erzählt, doch das bewahrte ihn nicht davor, unter Kabinenarrest gestellt zu werden.
Nachdem er aus dem Büro entlassen worden war, ging Mary Sue des öfteren mit verschiedenen Ordnern hinunter zu seiner Kabine und versuchte die "zweifelhaften Anzeigen" hinwegzuerklären. Er habe veraltete Tech verwendet, so sagte sie, "und hätte das wissen sollen". Später kam auch Diana Hubbard vorbei, riss Roos" Tür auf, schrie "Ich hasse Dich, ich hasse Dich!" hinein und stelzte wieder davon. [14]
Während dieses ganzen Dramas lag die Apollo in Tanger vor Anker. Mary Sue war sehr beschäftigt mit der Möblierung und Ausstattung eines modernen terassenförmig angelegten Hauses, der Villa Laura, auf einem Hügel in den Vorstädten von Tanger. Die Hubbards planten für eine Weile an Land zu gehen, während das Schiff zur Überholung auf ein Trockendock musste; Mary Sue freute sich darauf.
Hubbard träumte immer noch von einem freundlichen kleinen Land, in dem Scientology wachsen und gedeihen (um nicht zu sagen, die Kontrolle übernehmen) konnte und er hatte begonnen, begehrliche Blicke auf Marokko zu werfen, in dessen Atlantik-Häfen er regelmässig vor Anker ging, seit er das Mittelmeer verlassen hatte. Die marokkanische Monarchie war in der Krise und Hubbard hatte das Gefühl, dass König Hassan die Hilfe von Scientology willkommen heissen würde, die es ihm ermöglichen würde, Verräter unter seinen Leuten zu identifizieren. Dann würde sich der König bestimmt entsprechend grosszügig zeigen.
Einige Monate zuvor hatte die Sea Org eine Basis an Land in einer kleinen Ansammlung von Bürogebäuden auf der Strasse zum Flughafen ausserhalb Tangers eingerichtet. Die Aufstellung einer Hinweistafel an der Strasse, die in englisch, französisch und arabisch die Ankunft der "Operation and Transport Corporation Limited, International Business Management" ankündigte, zog sofort die Aufmerksamkeit von Howard D. Jones, dem örtlichen amerikanischen Generalkonsul, auf sich. Sein Interesse wurde nur noch grösser, als er ein paar Tage später bei einer Party in Tanger ein nervöses amerikanisches Mädchen traf, die zugab für die OTC zu arbeiten, doch nichts weiter darüber sagte. "Ich bin im Auftrag einer panamesischen Gesellschaft hier", sagte sie, "doch das ist alles, was ich ihnen sagen kann."
Nichts hätte den Konsul noch mehr anspornen können, weitere Nachforschungen anzustellen. Er kam bald auf die Verbindung zwischen der OTC, dem "rätselhaften Schiff" Apollo und L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology, doch entdeckte er wenig mehr, wie aus einem frustrierten Telegramm an Washington vom 26. April 1972 zu entnehmen ist: "Man weiss hier wenig über die Geschäfte der "Operation and Transport Corporation" und deren Offizielle geben sich undefinierbar über das eigentliche Geschäftsfeld. Jedoch nehmen wir an, dass die Scientologen an Bord der Apollo und in Tanger das tun, was Scientologen anderswo ebenfalls tun."
"Es gab Gerüchte in der Stadt, dass die Apollo in Drogen- oder weissen Sklavenhandel involviert wäre. Jedoch bezweifeln wir diese Berichte ... Die Geschichten über weissen Sklavenhandel rühren unzweifelhaft von der Tatsache her, dass es unter der Besatzung der Apollo eine grosse Anzahl auffallend hübscher junger Mädchen gibt. Doch sind wir skeptisch, dass ein Schiff, das wie ein wunder Finger hervorsteht und beträchtliches Interesse entfacht, mit einer Crew von mehreren Hundert Mitgliedern das geeignete Fahrzeug für Schmuggel oder weissen Sklavenhandel wäre." [15]
Der US-Konsul jedoch, obwohl er es nicht wissen konnte, schaute in die falsche Richtung. Auf dem Schiff selbst passierte nur wenig, was für Washington von Interesse sein konnte, doch an Land passierte dafür eine ganze Menge. Die Operation and Transport Corporation versuchte sich hartnäckig Eintritt in die marokkanische Bürokratie zu verschaffen, ohne sich von diversen Rückschlägen beirren zu lassen. Die Corporation erwarb sich einen ungünstigen Stand, indem sie einen Vertrag mit der Regierung zur Ausbildung von Postangestellten abschloss – auf Basis der Versicherung, dass die scientologischen Techniken ihre Ausbildung beschleunigen würden. Doch dieses Pilotprojekt schlug bald fehl. "Wir übernahmen die eine Hälfte der Studenten, während die andere Hälfte auf traditionelle Art ausgebildet wurde", sagte Amos Jessup. "Wir verbrachten einen Monat damit, sie verschiedene Studiertechniken zu lehren, doch sie befürchteten, dass die anderen ihnen weit voraus waren und schon Details ihrer Arbeit auf dem Postamt lernten, sodass sie schliesslich einfach wegblieben."
Jessup, der französisch sprach, führte den nächsten Angriff der OTC aus – ausgerechnet auf die marokkanische Armee. Er und Peter Warren freundeten sich mit einem Oberst aus Rabat an und demonstrierten ihm die Funktionsweise des E-Meter. "Er war entsprechend beeindruckt", sagte Jessup, "und arrangierte für uns eine Vorführung bei einem General, der angeblich mit dem Verteidigungsminister befreundet und zudem die rechte Hand des Königs war. Man brachte uns zu seinem gigantischen, luxuriösen Haus, wo wir ein paar Drills vorführten. Der General sagte, er wäre sehr interessiert und würde auf uns zurückkommen. Wir warteten in einem kleinen Apartment in Rabat, das die Sea Org für uns gemietet hatte, doch hörten wir nichts mehr von ihm, also gingen wir wieder zurück auf das Schiff. Kurz danach führte dieser General einen missglückten Staatsstreich an und beging daraufhin Selbstmord. Da wurde uns klar, dass er mit dem König nicht über das E-Meter gesprochen hatte."
Eine andere OTC Mission beim marokkanischen Geheimdienst war erfolgreicher; dort wurde ein Trainingskurs für Polizeioffiziere und Geheimagenten gestartet. Man zeigte ihnen, wie sie das E-Meter benutzen konnten, um politisch motivierte Staatsfeinde zu entdecken. Inzwischen brach die Apollo für eine Überholung nach Tanger auf und Mary Sue und Ron zogen in die Villa Laura in Tanger. Hubbard schien seltsam bedrückt; Doreen Smith berichtete, dass er oft davon sprach, "seinen Körper zu verlassen"; das war in der Scientologen-Sprache gleichbedeutend mit Sterben.
Als loyale Ehefrau nahm es Mary Sue auf sich, sich um eine der Quellen für das Ungemach ihres Mannes zu kümmern – seinem entfremdeten Sohn Nibs. Nachdem er 1959 "aus der Org abgehauen" war, war ihm das Glück nicht hold gewesen. Er war von einem Job zum nächsten gewandert und hatte immer grössere Schwierigkeiten, seine Frau und seine sechs Kinder über Wasser zu halten. Als ihm dann schliesslich klar wurde, dass er niemals zu Scientology zurückkehren würde können, wurde er ein um so prominenterer Kritiker seines Vaters und dessen "Church". Als die Church mit der amerikanischen Steuerbehörde IRS im Rechtsstreit lag, sagte Nibs zugunsten der IRS aus.
Im September 1972 startete Mary Sue eine Kampagne um Nibs zu "handhaben". Alle Sea Org Akten mussten durchsucht werden; das Schutzbüro (Guardians Office) wurde angewiesen, dasselbe zu tun. Sie erzählte einem Helfer, dass Nibs "grosser Problempunkt" Geld war und dass jetzt die Zeit gekommen war, die alten Akten zu durchforsten um mögliche frühere Beschwerden über ihn auszugraben. [16]
Die Church enthüllte nie, was sie über den Sohn ihres Gründers herausgefunden hatte, doch am 7. November nahm Nibs ein Videointerview mit einem Vertreter der Church auf, in dem er seine IRS Zeugenaussage und alle weiteren Anschuldigungen zurückzog, die er zuvor gegen seinen Vater erhoben hatte. Er hatte diese Aussagen "aus Rache" zu einer Zeit getätigt, so erklärte er, als er unter grossem persönlichem und emotionalem Stress stand: "Was ich gemacht habe, war Lügen zu verbreiten; damit habe ich viel Schaden bei einer Menge Leute angerichtet, die ich sehr schätze."
"Ich liebe meinen Vater, Blut ist dicker als Wasser, und vielleicht klingt das für einige Leute komisch, doch mir bedeutet es viel, dass Blut dicker als Wasser ist. Weiters habe ich einige ziemlich üble Sachen über die Sea Org gesagt, doch nichts davon ist wahr. Ich persönlich weiss nichts über Fehlhandlungen oder illegale Aktivitäten, Brutalitäten oder irgendetwas in dieser Richtung, die die Sea Org oder irgendwelche anderen Scientology-Mitglieder begangen haben."
In der Villa Laura in Tanger hatte Hubbard wenig Zeit über die Liebeserklärung seines Sohnes nachzudenken. Tatsächlich war es wahrscheinlicher, dass er über die seltsame Unvermeidlichkeit nachdachte, mit der seine Pläne im Desaster endeten. Der OTC Trainingskurs für die marokkanischen Geheimpolizisten brach unter dem Druck von vernichtenden Intrigen zwischen Pro- und Contra-Monarchisten und deren Furcht vor den Enthüllungen des E-Meter in sich zusammen. "Es war eine verrückte Konstellation", sagte Jessup, "man konnte nicht sagen, wer auf welcher Seite stand."
Die Sea Org hätte diese Komplikationen vermutlich noch abwehren und entwirren können, wären nicht Gerüchte aus Paris zu hören gewesen, dass die Scientology Church in Frankreich wegen Betrugs angeklagt würde. Es gab Anspielungen, dass französische Rechtsanwälte Hubbards Auslieferung von Marokko verlangen würden, damit er sich vor einem französischen Gericht verantworten würde können.
Der Kommodore traf die Entscheidung, dass es wieder einmal Zeit war zu gehen. Es gab eine Fähre, die Tanger 48 Stunden später Richtung Lissabon verliess: Hubbard ordnete an, dass das gesamte Personal abreisen sollte, zusammen mit dem ganzen beweglichen Eigentum des OTC und jedem Fetzen Papier, der nicht geschreddert werden konnte. Die nächsten zwei Tage konnte man Konvois von Lastwagen, Personenwagen und Motorrädern beobachten, die Tag und Nacht zwischen der "Landbasis" des OTC in Marokko und dem Hafen von Tanger hin und her hasteten.
Als die Fähre nach Lissabon am 3. Dezember 1972 aus dem Hafen von Tanger auslief, blieb gar nichts mehr von der Scientology Church in Marokko. Hubbard hinterliess lediglich einen Haufen geschreddertes Papier, eine Anzahl wild wuchernder Gerüchte und eine Gruppe konfus gemachter US Konsularbeamter.
Last updated: January
08,
2011
[1] Interview
with
Ken
Urquhart,
Maclean, VA., April 1986
[2] Los Angeles
Times, 29 August 1970
[3] The Guardian,
12
February
1980
[4] Guardian Order,
16 December 1969
[5] Flag Order no. 1890, 26 March 1969
[6] Affidavit of Gerald Armstrong, 16
March 1986
[7] Testimony, Armstrong v. Church of Scientology, 1984
[8] Interview with Michael Goldstein,
Denver, CO, March 1986
[9] Interview with Doreen Gillham,
Malibu, CA, August 1986
[10] Interview with Eltringham
[11] Letter from Sara Hollister; Testimony
Armstrong v. Church
of Scientology, 1984
[12] Jon Atack
Arcihives
[13] Interview with Jim Dincalci,
Berkeley, CA, August 1986
[14] The O.J.
Roos Story, 7 September 1984
[15] Los
Angeles Times, 29 August 1978
[16] Letter
from
Mary
Sue Hubbard to Jane Kember, 2 September 1972