SternTV vom 6.11.2002

Beitrag mit Vivien Krogmann über ihre Kindheit im Scientology-Lager Saint Hill

 

Einleitung Günther Jauch:

Der Fall, über den wir jetzt reden, der wurde in der vergangenen Woche in Hamburg verhandelt, und er ist sisher einmalig in Deutschland. Darf eine Tochter von ihren Eltern Schadensersatz dafür verlangen, dass sie als Kind von den Eltern auf eine Scientologen-Schule geschickt worden ist - und dass sie dort sowohl körperlich aber vor allem seelisch misshandelt worden ist?

Karin Weber über diese juristische Entscheidung, und über das Leben der heute 23-jährigen Vivien Krogmann.

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Film: (Vivien im Hafen von Hamburg)

Sprecherin:
Vivien Krogmann, 23 Jahre alt. Eine junge Frau, die von Kindheit an unter dem Einfluss von Scientology aufwächst. Ihre Eltern - überzeugte Anhänger. Eine Familie, die eisern nach der Lehre von Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology lebt.

Vivien:
Ich habe keine Kindheit gehabt. Es gab nur Scientology und nach Scientology haben wir gelebt. Nach den Regeln, nach den Wünschen, wenn irgendwelche Veranstaltungen gewesen sind, sind wir dort gewesen. Also die wirkliche Aussenwelt die es tatsächlich gibt, die gab es nicht.

Sprecherin: (Bilder von Saint Hill im Film)
Mit 13 Jahren schicken die Eltern ihre Tochter Vivien nach England in ein Scientologen-Camp. Die idyllische Fassade täuscht. In "Sea Org", einer Elite Einheit, werden die Kinder nach strengen Vorschriften ausgebildet. (Fotos aus den Schlafsälen von Saint Hill)

Vivien:
Man ist im Grunde genommen wie in einem Gefängnis. Es war kein Internat, es sind ungefähr 200 bis 300 Kinder inklusive Erwachsene dort, die arbeiten. Egal, also die Kinder sind nicht gleich Kinder sondern die Kinder werden wie Erwachsene behandelt.

Sprecherin: (Fotos von Vivien von damals werden gezeigt)
Fotos von damals zeigen Vivien auf dem Gelände. Die Kinder arbeiten oft Tag und Nacht, verrichten körperliche Schwerstarbeit (Foto eines erschöpften, müden Kindes wird eingeblendet) - bis zur völligen Erschöpfung.

Vivien:
Die ersten 14 Tage war ich nur am Heulen, weil ich solches Heimweh gehabt hatte und der nächste der mich eigentlich knuddeln konnte, oder der mich trösten konnte, das war selbst ein Kind - und wir waren eigentlich auf uns selbst eingestellt.

Sprecherin: (Foto von 2 Sea Org Mädchen in blauen Uniformen, im Hintergrund ein Bild von Hubbard an der Wand)
Kaum Aussenkontakte, Strafen, keine Schulausbildung. Stattdessen täglicher Drill, und immer wieder wird ihnen die Sektenideologie eingetrichtert. Vivien soll nach der Vorstellung ihrer Eltern eine perfekt funktionierende Scientologin werden - doch Vivien hat erste Zweifel.

Vivien:
Ich wollte immer danach greifen - es muss doch noch etwas geben als nur Scientology - und ich hatte mich auch gefragt: was denken denn die anderen Leute, die nicht in Scientology sind. Und ich wollte im Grunde genommen irgendwann weg.

Sprecherin:
1998 will sie endgültig aussteigen, nichts mehr mit Scientology zu tun haben. Die Eltern setzen die Tochter unter Druck.

Vivien: (zitiert ihre Mutter)
"Entweder du entscheidest dich für Scientology oder du entscheidest dich gegen Scientology - und wenn du dich gegen Scientology entscheidest, dann entscheidest du dich auch gegen uns." Das war der genaue Wortlaut meiner Mutter. Und ab dem Tag sind meine Eltern für mich gestorben gewesen.

Sprecherin:
Vivien ist jetzt psychisch am Ende. Ihr Freund, den sie damals kennenlernt, erinnert sich:

Axel Wahls:
Der Zustand, in dem ich sie kennengelernt habe, war schlecht, sie hat sich permanent nach dem Essen übergeben, sie hatte Schlafstörungen, nachts ist sie aufgewacht - und also es war kein guter Zustand.

Sprecherin: (Vivien auf den Weg in einem Bürogang, zuletzt sieht man ein T-Shirt oder ein Plakat mit der Aufschrift $CIENTOLOGY KILLS)
Doch Vivien bekommt Hilfe und Unterstützung, vor allem Ursula Caberta, der Sektenbeauftragten in Hamburg, vertraut sie sich an. Vivien will gerichtlich gegen ihre Eltern vorgehen, Eltern, die sie jahrelang gegen ihren Willen ins Scientology-Camp geschickt haben.

Ursula Caberta:
Und das halt ist das erste Mal, dass ein Kind, das eine in Anführungsstrichen scientologische Erziehung genossen hat, ihre Eltern dafür zur Rechenschaft zieht. Und das ist natürlich von Bedeutung, nicht nur für Deutschland, sondern weltweit.

Sprecherin: (Filmaufnahmen von der Verhandlung)
Und letzte Woche war es soweit. Vivien Krogmann auf ihrem Weg ins Gericht. Hier vor dem Landgericht Hamburg will sie endlich Recht bekommen, einen Schlusstrich ziehen unter den jahrelangen Psychoterror. Vier Stunden dauert die Verhandlung. Vivien ist angespannt, ein Nervenbündel, dann das Ergebnis: Ein Vergleich: Vivien bekommt 35.000,-- Euro Schadensersatz von ihre Eltern. Ein Sieg für sie, doch nur juristisch - was bleibt, ist die Erinnerung an eine Albtraumkindheit. Jetzt will sie nur noch eines: einen Neustart in ein normales Leben, ohne Scientology.
 

Im STERN TV Studio

Günther Jauch:
Tja Frau Krogmann, 35.000,-- Euro Schadensersatz. Ist denn damit der Schaden wieder gut gemacht?

Vivien:
Das Geld kann zwar etwas helfen, aber im Grunde genommen ist es nicht wieder gut zu machen, die Kindheit ist nicht wieder -, die kann ich nicht mehr nachholen.

Günther Jauch:
Haben sie ihre Eltern gesehen, nochmal gesprochen?

Vivien:
Ich habe meine Eltern vor Gericht gesehen, aber ich habe nicht mit meinen Eltern gesprochen - das wollte ich und konnte ich irgendwie nicht.

Günther Jauch:
Und dann ist das praktisch einfach so über Anwälte gegangen anstatt sich da direkt darüber zu unterhalten?

Vivien:
Ja. Also ich wurde vom Richter gefragt ob ich das gerne möchte und ich habe gesagt das möchte ich nicht.

Günther Jauch:
Mit 13 Jahren sind sie da nach "Sea Org", wie das heisst in England, gekommen. Wie sah da der Alltag aus? Können Sie mal - wann ging es da morgens früh los und was musste ein 13 jähriges Mädchen da im Einzelnen alles machen?

Vivien:
Also es ging morgens um acht Uhr los - also wir haben angefangen zu arbeiten, dann haben wir uns alle mal getroffen, es wurde überprüft ob alle da gewesen sind. Hat jemand gefehlt, wurde die natürlich dementsprechend gesucht und bestraft. Und ansonsten war es so dass wir Projekte bekommen haben, die wir erledigen mussten, ob wir wollten oder nicht. Es war auch kein Unterschied ob das ein Kind oder ein Erwachsener gewesen ist. Zum Beispiel Projekte waren, das wir Rohre verlegen mussten, oder Terrassen bauen mussten, oder Müll wegbringen mussten durch einen Anhänger ungefähr einen Kilometer entfernt.

Günther Jauch:
Aber sie sind 13 Jahre alt gewesen, haben sie da auch was gelernt? Also ein Kind muss doch irgendwie zur Schule gehen und was lernen.

Vivien:
Ich bin nicht in der Schule gewesen. Also ich hab nur die Scientology-Technologie, die habe ich gelernt.

Günther Jauch:
Aha, und das war auch gar nicht wichtig?

Vivien:
Nein überhaupt nicht.

Günther Jauch:
Dann hat man ihnen eine Ehe aufgezwungen.

Vivien:
Ja.

Günther Jauch:
Später, wie war das? Können sie darüber was erzählen?

Vivien:
Mir wurde gesagt, dass mein Ehemann nicht schwul sei, er selber hat es mir gesagt. Er sagte, dass er durch Scientology geheilt sei.

Günther Jauch:
Und er war auch Scientologe?

Vivien:
Er war auch Scientologe und ist Scientologe. Und ich habe mich dann damit zufrieden gegeben weil ich daran geglaubt habe - und ja, wir haben am 9.9.1997 geheiratet und nach ein paar Monaten habe ich plötzlich gemerkt er spricht nicht mehr mit mir, die Ehe ist niemals vollzogen worden, und hab mir natürlich meine Gedanken gemacht.

Günther Jauch:
Wie konnten sie sich am Ende dann davon lösen, denn sie hatten ja im Grunde jahrelang diese Gehirnwäsche hinter sich gehabt und waren wahrscheinlich gar nicht mehr in der Lage noch eigene Entscheidungen zu treffen?

Vivien:
Damit habe ich heute noch ein Problem, Entscheidungen zu treffen. Weil ich immer die Angst habe irgend etwas falsch zu machen. Also wenn ich jetzt die Entscheidung selber treffe, im nächsten Moment kommt dann der Gedanke: "Ist das richtig? Ist es falsch? Hat es irgendwelche Nachwirkungen?" Aber irgendwann kamen die Zweifel so stark und das war halt auch mit der Ehe das ich gemerkt habe das kann nicht angehen. Er selber hat mit dann gesagt er sei schwul und es hätte sich im Grunde genommen nichts geändert und er müsste weiterhin Scientology machen - und da ist in meinen Augen die Welt zusammengebrochen.

Günther Jauch:
Frau Caberta ist das für sie im Grunde ein Glücksfall und auch ein Glückstag vor Gericht gewesen, dass sie gesagt hat "jawohl ich fechte das durch" und am Ende auch jetzt mal gegen Scientology gewonnen hat?

Ursula Caberta:
Ja das ist natürlich - also wir haben ja mehrere Jugendliche Gott sei Dank, die auch aussteigen, mit vielen Problemen natürlich. Vivien hat sich dann irgendwann entschlossen vor Gericht zu gehen, ihre Eltern zur Rechenschaft zu ziehen. Es war ja, da hat Scientology immer Wert darauf gelegt, kein Prozess gegen Scientology.

Günther Jauch:
Das ist ja das Problem eigentlich, gegen die Sekte kann man juristisch in dem Fall nichts machen, sondern es ging nur über den Umweg der Eltern?

Ursula Caberta:
Ja es geht nur, also im deutschen Recht, die Eltern haben ihr das angetan in der Erziehung, die Eltern sind verantwortlich dafür. Im Grunde genommen wäre die Kette jetzt so, die Eltern natürlich, die auch ja Scientology Opfer sind, also die nach den Richtlinien leben, könnten vielleicht, wenn sie dann aussteigen, Scientology jetzt verklagen und sagen: "Ihr habt durch Erziehungsmethoden von Scientology... mussten wir das jetzt zahlen, also gebt uns das zurück." Da habe ich aber wenig Hoffnung das die Eltern aufhören.

Günther Jauch:
Ihre Eltern sind  ja immer noch Scientologen?

Vivien:
Ja meine Mutter ist seit 30 Jahren Scientologin.

Günther Jauch:
Uns sie haben noch 4 Geschwister. Sind die jünger oder älter als sie?

Vivien:
Sind alle jünger als ich.

Günther Jauch:
Alle jünger - und wie werden die denn erzogen?

Vivien:
Nach Scientology.

Günther Jauch:
Nach Scientology - also im Grunde wird an denen jetzt nochmal das wiederholt.

Vivien:
Was mit denen genau geschieht, oder was sie genau machen, das weiss ich nicht.

Günther Jauch:
Weil sie sich so nachhaltig und konsequent eben von ihren Eltern gelöst haben und demzufolge auch keinen Kontakt zu ihren Geschwistern haben?

Vivien:
Nein zu keinem aus meiner Familie, ausser zu meiner Oma.

Günther Jauch:
Ist es normalerweise so, dass die Eltern zu ihnen kommen und sagen: 'Hilfe mein ist von Scientologen beeinflusst, holen sie mein Kind da raus', oder ist es eher so, dass sie aufpassen müssen, dass die Eltern nicht eben Scientologen sind und die Kinder im Grunde da verderben?

Ursula Caberta:
Also der Regelfall ist das Erwachsene an Scientology geraten und dann die Kinder eben scientologisch erzogen werden. Es gibt auch Strategien direkt an Jugendliche heranzugehen, das ist aber bei Scientology eher die Ausnahme, da gibt es andere Gruppen, die sind da mehr darauf programmiert.

Günther Jauch:
Da gibt's doch aber die Kinder-Dianetik?

Ursula Caberta:
Kinder-Dianetik ist ein Buch, das habe ich ja mit.

Günther Jauch:
Ja - zeigen sie mal.

Ursula Caberta: (übergibt Buch "Kinder-Dianetik" an Günther Jauch)
Kinder-Dianetik - die ist von Hubbard - das ist praktisch die Erziehungsanweisung nach Scientology. Also wenn Scientology behauptet, Kinder haben ein normales Leben, also da steht alles drin das es nicht so ist.

Günther Jauch:
Glauben sie denn, dass sie das jetzt überwunden haben - auch mit Hilfe ihres Freundes - also sie wirken auf mich ja sehr, wie soll ich sagen, dass sie sich davon gelöst haben, dass sie das auch gut verbalisieren können, dass sie eigentlich auch gar nicht mehr verdrukst sind. Täuscht diese souveräne Fassade ein bisschen?

Vivien:
Ja, es wird gelehrt das es von aussen hin das man sicher ist, dass man glücklich ist, dass man immer lächeln kann, dass es keine Gefühle gibt. Aber tief im Inneren gibt es noch einige Sachen die ich aufarbeiten muss.

Günther Jauch:
Und hatten sie eine Zeit lang ihre Gefühle völlig verloren?

Vivien:
Ja letzte Woche Donnerstag. Letzte Woche Donnerstag vor Gericht als meine Mutter angefangen hat zu sprechen - da war bei mir - ist bei mir, wie soll ich sagen - also ich wusste gar nicht mehr wie ich mit mir selber klar kam.

Günther Jauch:
Aber sehen sie sich immer noch durch Scientology als gefährdet an, oder glauben sie dieses Kapitel ist ein für alle mal vorbei?

Vivien:
Das Kapitel ist vorbei. Also zurück gibt es bei mir nicht mehr.

Günther Jauch:
Kennen sie noch andere 13- 14- 15-jährige, die in den Fängen von Scientology sind?

Ursula Caberta:
Wir wissen das - ja.

Günther Jauch:
Aber sie können nichts machen?

Ursula Caberta:
Na ja die Sea Org, diese Eliteeinheit wo die scientologischen Eltern irgendwann ihre Kinder hinbringen, sind im Ausland. Die Sea Org gibt es nicht in Deutschland, sie gibt es in Dänemark und in Grossbritannien und in den USA und da wären wir natürlich darauf angewiesen, dass die britische, dänische oder die US-amerikanische Regierung mal guckt, wieviele deutsche Kinder arbeiten da eigentlich. Also Kinderarbeit verbinden wir hier immer mit Teppichknüpfen .....irgendwo, aber Kinderarbeit findet bei Scientology in Europa statt.

Günther Jauch:
Ich glaube bei ihnen kamen mal irgendwie die Bodyguards von Tom Cruise vorbei und da mussten sie 2 Tage vorher das ganze Schloss putzen, oder?

Vivien:
Ja es war 3 Tage vorher. Es wurde auch überprüft also von sehr hohen Tieren in Scientology und die haben dann einen weissen Handschuh angezogen und haben das dann nachgeprüft - und wenn ein Staubkörnchen drauf gewesen ist, dann durfte alles komplett nochmal sauber gemacht werden.

Günther Jauch:
Wenn jetzt irgendwelche 13- 14- 17- jährigen zuschauen und sagen "wir möchten da raus", so wie sie auch, was sollen die tun, was können die machen?

Ursula Caberta:
Ja sie können sich melden bei den verschiedenen Beratungsstellen, bei uns oder auch sonstwo, nur es ist ein schwerer Weg - also die Jüngste, die sich gelöst hat war 17. Wir haben jetzt den nächsten 17-jährigen - also es passiert. Nur es ist klar, die Eltern, wenn die Scientologen sind, die Kinder verlieren ihre gesamte Familie wenn die scientologisch ist. Das ist ein sehr harter Schritt.

Günther Jauch:
Danke, dass sie das gemacht haben und dass sie auch in die Öffentlichkeit gegangen sind und vielleicht gibt es noch ein paar Nachahmer, die ihrem Weg folgen. Das wäre schön.

Vivien:
Danke schön.

Günther Jauch:
Danke schön.

(Applaus)


Dieser Text ist eine Abschrift des Fernsehbeitrags vom 6. 11.2002 in Stern TV.
Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt. 
 

Vielen Dank an Vivien Krogmann und Ursula Caberta für die freundliche Abdruckerlaubnis.


Copyright © des Beitrages bei Vivien Krogmann und Ursula Caberta; HTML und Links durch Ilse Hruby


Den Mut von Vivien begrüsst Kids e.V. sehr und fordert alle jugendlichen Sektenkinder, nennen wir sie einfach mal so, auf, sich Vivien anzuschliessen. Nicht in allen derartigen Organisationen ist es der Fall dass Schwerstarbeit zu leisten ist. Aber es geht um die seelischen Schäden, die verlorene Kindheit, die Bestrafungen und die Züchtigungen usw., die auch nicht unerheblich sind.

Die Jugendlichen, die sich Vivien anschliessen möchten, sollten sich bei KIDS e.V. c/o Jutta Birlenberg / Bogenstrasse 11 / 51375 Leverkusen / Tel: 0214 55760 Tel: 0214 3102861 Fax: 0214 3102862 ext. Fax: 0214 55775 int. oder per  e-Mail: kidsev@telelev.net melden.


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