30.05.2001 - Chronik International

"Ein Schuss zwischen die Augen"

Gerry Armstrong, hochrangiges früheres Mitglied bei Scientology, berichtet von Todesdrohungen gegen seine Person. 

WIEN (red). "Macht und Geld sind die wahren Triebfedern hinter Scientology. Mit Religion hat das überhaupt nichts zu tun." Der Kanadier Gerry Armstrong, der bei einer Veranstaltung der Bundesstelle für Sektenfragen aus seinen jahrzehntelangen Erfahrungen mit der obskuren "Privatreligion" des 1986 verstorbenen Sektengründers L. Ron Hubbard plauderte, warnte davor, Scientology als Religion einzustufen. Eine Religion, die Aussteiger verfolge, mundtot machen wolle oder - wie ihm Mitte der 80er Jahre - einen "Schuss zwischen die Augen" androhe, sei gewiss keine Religion, meinte Armstrong. 

Von 1969 bis 1981 war Armstrong Sektenmitglied und unter anderem für Rechtsangelegenheiten zuständig. Bei Recherchen für eine Biographie über den Sektengründer habe er entdeckt, dass Scientology auf einem Lügengebäude errichtet worden sei. Über zwei Jahre habe er in "Straflagern" der Organisation verbracht. 

Seit dem Ausstieg werde er verfolgt: Körperliche Bedrohungen, Gerichtsverfahren, Einbrüche in sein Haus oder Verleumdungen seien an der Tagesordnung. In den USA selbst darf der "Abweichler" seit einer gerichtlichen Verfügung nicht über Scientology sprechen. Armstrong betonte den Einfluss der Sekte auf das Justiz- und Regierungssystem der USA, der insbesondere in den neunziger Jahren spürbar geworden sei. Seither würde die von der US-Verfassung garantierte Religionsfreiheit mehr oder weniger als Verbot der Religionskritik und als Freibrief für Glaubensgemeinschaften, ihre Mitglieder zu unterdrücken, ausgelegt, meinte Armstrong.

Die Zahl der Scientologen in Österreich kann nicht genau bestimmt werden. Der Geschäftsführer der Bundesstelle für Sektenfragen, German Müller, beziffert sie mit unter 5000. Weltweit sollen ihr rund acht Millionen Menschen angehören. 

Gestern, Dienstag, demonstrierten rund 40 Mitglieder von Scientology Österreich vor der französischen Botschaft am Schwarzenbergplatz gegen ein geplantes Gesetz zur Regulierung der Religionsgemeinschaften in Frankreich. Das Gesetz soll den Präsidenten und die Regierung ermächtigen, religiöse Gruppierungen zu verbieten, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen.
 

© Die Presse | Wien

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