Wilfried Handl über sein Leben
  in und mit Scientology

Interview im März 2008
(Fragen von Ilse Hruby)

The english translation from this Interview is here


Wie bist Du zu Scientology gekommen?

Ich hatte damals eine Freundin, die Scientology machte – und es war daher nur eine Frage der Zeit, bis ich von Scientology erfuhr und hinging.

Wie alt warst Du damals?

Ich war damals 20 Jahre alt.

Wie wurdest Du geworben?

Im Nachhinein fand ich heraus, dass es innerhalb von Scientology eine Art von Finanzmarketing gibt: Jeder Scientologe bekommt 10 bzw. 15 % aller Beträge, die ein von ihm angeworbener einbezahlt. Meine damalige Freundin wurde einige Wochen später „FSM“ des Monats; „FSM“ (Field Staff Member) nennt sich dieses System innerhalb von Scientology – und sie hatte neben mir noch eine Reihe anderer Bekannter für Scientology geworben.

Wie war so der erste Eindruck von dieser "Religion"?

Von Religion oder Kirche bekommt man gar nichts mit – ich habe selbst während meiner 28-jährigen Mitgliedschaft nie davon etwas bemerkt; nur davon, dass dieses Argument benutzt wird, um Steuererleichterung und gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Mir präsentierte sich das Ganze als Versammlung von – durchaus sympathischen – Menschen.

Wussten Deine Eltern/Grosseltern/Geschwister davon?

Nein, anfangs nicht. Später habe ich dann meinen Bruder für Scientology geworben; ich wurde einer jener „FSMs“.

Wurdest Du von Scientology dazu angehalten Familienmitglieder und Freunde zu werben?

Ja. Es ist das Hauptwerkzeug von Scientology, dass jeder Scientologe sein komplettes Umfeld ebenfalls zu Scientologen machen soll.

Hattest Du als Mitglied von Scientology spezielle Pflichten?

Ein Scientologe hat eigentlich nur sehr wenige Pflichten – die aber dafür rund um die Uhr: Er soll die „Brücke zur totalen Freiheit“ beschreiten; das ist jenes Kurs- und Auditingsystem, das, vergleichbar mit einer Stufenleiter, den Weg vorgibt, den jeder absolvieren muss, um derart die höchste Stufe der „Einweihung“ zu erhalten.

Zweitens muss man diese Stufen dann absolvieren und drittens muss man das Geld verdienen, um diese Stufen bezahlen zu können – und die sind extrem teuer. (Jeder Scientologe bezahlt zwischen 150.000 und 300.000 Euro auf diesem Weg; mehr ist keine Seltenheit)

Wie sah Dein Tagesablauf aus?

Eigentlich durchaus unauffällig – eben nur mit scientologischen „Einspränkseln“.

Machtest Du täglich oder wöchentlich Deine Zustandsformeln?

Klar. Man wird dazu auch von Scientology – derjenige, der darauf schaut ist der sogenannte „Ethik- Offizier“ – angehalten.

Gab es Sonntag's oder an Feiertagen eine Gebetsstunde oder Andacht? Wurde dabei gebetet oder religiöse Dinge besprochen?

Gab und gibt es. Um das wirklich nachvollziehen zu können, muss man sich vorstellen, dass es sich dabei eigentlich nur um eine Versammlung handelt, zu der (hauptsächlich) Scientologen eingeladen wurden, dass als „Sonntagsservice“ (Sunday service) firmierte, und bei dem „erbauliche“ Texte vorgelesen wurde. Also Lichtjahre entfernt von jeder Gebetsstunde einer Kirche.

Hast Du Scientology selbst damals als eine "Religion" empfunden?

Nein. Hubbard selbst (es gibt genügend Aussagen von ihm – z.B.: Scientology ist weder eine Psychoanalyse noch eine Religion – 1954) und mit ihm alle Scientologen sehen es genau so. Es ging und geht nur um Steuererleichterung, „Schutz“ vor dem Marktamt und gesellschaftliche Anerkennung.

Gab es Versuche seitens der Scientology-Org Einfluss auf Dein Ehe- oder Familienleben zu nehmen? Was hatte Vorrang?

Klar. Scientology versucht, über jedes Mitglied und dessen Lebensumstände vollständige Kontrolle zu erlangen – und sie nach den von Scientology angestrebten Werten auszurichten.

Hast Du Deine Kinder nach Scientology Vorgaben erzogen?

Ja, leider!
[siehe dazu: Allgemeine Stellungnahme zum Spannungsfeld Scientology und Kindererziehung oder Scientology und Kinder]

Wie hat sich die Lehre von Scientology auf Dein Leben ausgewirkt? Beruflich und Privat?

Man taucht in eine Parallelwelt ein und lebt eigentlich ohne dass man es merkt in dieser. Man ist dabei nicht einmal unbedingt unglücklich – alle Menschen rund um einen sind ja auch Scientologen und leben nach den gleichen Vorgaben.

Wie weit bist Du auf der Brücke von L. Ron Hubbard gekommen?

Ich wurde „Clear“ – also ein Geklärter.

Konntest Du beim Auditing auch in die sogenannten Leben vor diesem Leben zurückgehen?

Theoretisch: ja – nur ob das stimmt, lässt sich ja nicht wirklich nachvollziehen; kann man sich nicht alles mögliche einbilden?

Für mich ist wesentlich interessanter, dass kein einziges der Ziele, die Scientology von diesem Auditing verspricht, erreicht wird. Das war Übrigens schon Anfang der 50er-Jahre so, als Hubbard stolz den ersten Clear im Shrine-Auditorium vorführte – und das Ganze in einem Fiasko endete. Daran hat sich nichts geändert – ausser dass Scientologen dazu neigen, sich die Dinge selbst einzureden – und viel Geld dafür zu bezahlen.

Wie wirkte sich Scientology finanziell aus?

Wie es sich fast bei jedem Scientologen auswirkt: Mit dem finanziellen Bankrott. Ich würde sagen, dass über 90% der Scientologen hoch verschuldet sind.

Was hast Du gesehen was Dir nicht gefallen hat und warum bist Du trotzdem dabei geblieben?

Es gibt sehr viele Gründe, trotzdem dabei zu bleiben: Man hatte schon viel Geld bezahlt, der Gruppendruck, das Spitzelsystem mit „Wissensberichten“, „Sicherheitsüberprüfungen“, die finanzielle Abhängigkeit in einem Umfeld mit fast nur Scientologen – und: der Druck, den Scientology auf seine Mitglieder ausübt, um sie bei der Stange zu halten!

Hast Du in Deiner aktiven Zeit bei Scientology kritische Berichte über Scientology im TV gesehen oder in den Zeitungen gelesen?

Nein, kaum. Man ist angehalten, diese „Feindpropaganda“ zu meiden – und landet bei „Ethik-Offizier“, wenn man sich nicht daran hält.

Wenn ja, was hast Du Dir damals gedacht? Gab es spezielle Anweisungen wie man auf solche Berichte regieren soll?

Scientology sagte mir – und allen anderen, dass diese Berichte von Verbrechern gemacht würden, nur Lügen enthielten usw. Ausserdem war jeder – so Hubbard, der Scientology angriff ein Verbrecher. An diese Vorgaben hielt ich mich – leider.

Wie und wann hast Du Dich über Scientology informiert?

Erst nach meinem Ausstieg im Jahr 2002 – über Internet, Freunde, ehemalige Scientologen usw.

Wann bist Du auf den Gedanken gekommen, dass da irgendwas nicht stimmt?

Die Zweifel begannen schon Ende der 80er-Jahre – als ich die Stufe „Clear“ erreichte. Ich dachte mir damals: „Das war es jetzt? Das kann es doch nicht geben. Das war alles und darum wird so ein Affentanz aufgeführt?“

Trotzdem sollte es noch weit über 10 Jahre dauern, bis diesem Gedanken auch Taten folgten.

Welche Probleme hat die Mitgliedschaft bei Scientology für Dich geschaffen?

Eigentlich in der Situation selbst keine. Erst nach meinem Ausstieg bemerkte ich, wie ich tickte, was ich alles in meiner Zeit bei Scientology verloren hatte, abtrainiert bekam usw.

Wie hast Du es geschafft aus Scientology auszusteigen?

Eigentlich nur mit der Hilfe eines Menschen, der mich liebte und an mich glaubte – der Krebs war dann nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Wie lebst Du heute mit den Erfahrungen, die Du aufgrund der Mitgliedschaft bei der Scientology Organisation gemacht hast?

Es ist verdammt schwer, wieder zu einem normalen Menschen zu werden. Es ist jetzt 6 Jahre her, dass ich ausstieg und ich kämpfe immer noch mit einer Vielzahl an Mustern: ich befürchte, dass dies auch noch eine Weile so sein wird.

Was ist das Wichtigste, was Du den Menschen über Scientology sagen möchtest?

Scientology ist – unter Garantie nicht das einzige – System, das etwas ganz anderes vorspiegelt, als es letztendlich ist. Wenn man Scientology kennen lernt, zeigt der „Schein“ eine Organisation von engagierten und freundlichen Menschen, die scheinbar für jedes Problem eine Lösung parat haben und diesen „scientologischen Weg“ in Permanenz im Munde führt.

Nach gar nicht langer Zeit zeigt sich dann das wahre Gesicht: Eine neofaschistische, totalitäre Organisation verpasst einen Scheuklappen, die keinen Blick nach links oder rechts freigeben.

Wenn man sich vorstellen möchte, wie das abläuft, braucht man sich nur das Märchen „Rotkäppchen“ in Erinnerung rufen.

Scientology liegt im Bett der Grossmutter, hat noch einen dicken Bauch vom Verzehr derselben, dafür aber genug Kreide gefressen, um Rotkäppchens Blick von den Wolfstatzen abzulenken – immerhin möchte der Wolf ja auch Rotkäppchen fressen. 

Das darf man nie vergessen, wenn man Scientology oder Scientologen gegenüber steht: Auf ihre Art sind sie alle verkleidete Wölfe, die nur eines im Sinn haben: das Rotkäppchen zu fressen!


Vielen Dank an Wilfried Handl für dieses Interview und Alles Gute für den weiteren Lebensweg ohne Scientology!

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