Wilfried Handl über sein Leben
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Wie bist Du zu Scientology gekommen?Ich hatte damals eine Freundin, die Scientology machte – und es war daher nur eine Frage der Zeit, bis ich von Scientology erfuhr und hinging.Wie alt warst Du
damals?
Ich war damals 20
Jahre alt.Wie wurdest Du geworben?Im Nachhinein fand ich heraus, dass es innerhalb von Scientology eine Art von Finanzmarketing gibt: Jeder Scientologe bekommt 10 bzw. 15 % aller Beträge, die ein von ihm angeworbener einbezahlt. Meine damalige Freundin wurde einige Wochen später „FSM“ des Monats; „FSM“ (Field Staff Member) nennt sich dieses System innerhalb von Scientology – und sie hatte neben mir noch eine Reihe anderer Bekannter für Scientology geworben.Wie war so der
erste
Eindruck von dieser "Religion"?
Von Religion oder
Kirche bekommt man gar nichts mit – ich habe selbst während meiner
28-jährigen
Mitgliedschaft nie davon etwas bemerkt; nur davon, dass dieses Argument
benutzt
wird, um Steuererleichterung und gesellschaftliche Akzeptanz zu
erreichen. Mir
präsentierte sich das Ganze als Versammlung von – durchaus
sympathischen –
Menschen.Wussten
Deine
Eltern/Grosseltern/Geschwister davon?
Nein, anfangs nicht.
Später habe ich dann meinen Bruder für Scientology geworben; ich wurde
einer
jener „FSMs“.Wurdest Du von
Scientology dazu angehalten Familienmitglieder und Freunde zu werben?
Ja. Es ist das
Hauptwerkzeug von Scientology, dass jeder Scientologe sein komplettes
Umfeld
ebenfalls zu Scientologen machen soll.Hattest Du als
Mitglied von Scientology spezielle Pflichten?
Ein Scientologe hat
eigentlich nur sehr wenige Pflichten – die aber dafür rund um die Uhr:
Er soll
die „Brücke zur totalen Freiheit“ beschreiten; das ist jenes Kurs- und
Auditingsystem, das, vergleichbar mit einer Stufenleiter, den Weg
vorgibt, den
jeder absolvieren muss, um derart die höchste Stufe der „Einweihung“ zu
erhalten.Zweitens muss man diese Stufen dann absolvieren und drittens muss man das Geld verdienen, um diese Stufen bezahlen zu können – und die sind extrem teuer. (Jeder Scientologe bezahlt zwischen 150.000 und 300.000 Euro auf diesem Weg; mehr ist keine Seltenheit) Wie sah Dein
Tagesablauf aus?
Eigentlich durchaus
unauffällig – eben nur mit scientologischen „Einspränkseln“.Machtest Du
täglich
oder wöchentlich Deine Zustandsformeln?
Klar. Man wird dazu
auch von Scientology – derjenige, der darauf schaut ist der sogenannte
„Ethik-
Offizier“ – angehalten.Gab es
Sonntag's
oder an Feiertagen eine Gebetsstunde oder Andacht? Wurde dabei gebetet
oder religiöse Dinge besprochen?
Gab und gibt es. Um
das wirklich nachvollziehen zu können, muss man sich vorstellen, dass
es sich
dabei eigentlich nur um eine Versammlung handelt, zu der
(hauptsächlich)
Scientologen eingeladen wurden, dass als „Sonntagsservice“ (Sunday
service)
firmierte, und bei dem „erbauliche“ Texte vorgelesen
wurde. Also
Lichtjahre
entfernt von jeder Gebetsstunde einer Kirche.Hast Du
Scientology
selbst damals als eine "Religion" empfunden?
Nein. Hubbard selbst
(es gibt genügend Aussagen von ihm – z.B.: Scientology ist weder eine
Psychoanalyse noch eine Religion – 1954) und mit ihm alle Scientologen
sehen es
genau so. Es ging und geht nur um Steuererleichterung, „Schutz“ vor dem
Marktamt und gesellschaftliche Anerkennung. Gab es Versuche
seitens der Scientology-Org Einfluss auf Dein Ehe- oder Familienleben
zu nehmen?
Was hatte Vorrang?
Hast Du Deine
Kinder
nach Scientology Vorgaben erzogen?
Ja, leider![siehe dazu: Allgemeine Stellungnahme zum Spannungsfeld Scientology und Kindererziehung oder Scientology und Kinder] Wie hat sich die
Lehre von Scientology auf Dein Leben ausgewirkt? Beruflich und Privat?
Man taucht in eine
Parallelwelt ein und lebt eigentlich ohne dass man es merkt in dieser.
Man ist
dabei nicht einmal unbedingt unglücklich – alle Menschen rund um einen
sind ja
auch Scientologen und leben nach den gleichen Vorgaben. Wie weit bist Du
auf
der Brücke von L. Ron Hubbard gekommen?
Ich wurde „Clear“
–
also ein Geklärter.Konntest Du beim
Auditing auch in die sogenannten Leben vor diesem Leben zurückgehen?
Theoretisch: ja –
nur ob das stimmt, lässt sich ja nicht wirklich nachvollziehen; kann
man sich
nicht alles mögliche einbilden?Für mich ist wesentlich interessanter, dass kein einziges der Ziele, die Scientology von diesem Auditing verspricht, erreicht wird. Das war Übrigens schon Anfang der 50er-Jahre so, als Hubbard stolz den ersten Clear im Shrine-Auditorium vorführte – und das Ganze in einem Fiasko endete. Daran hat sich nichts geändert – ausser dass Scientologen dazu neigen, sich die Dinge selbst einzureden – und viel Geld dafür zu bezahlen. Wie wirkte sich
Scientology finanziell aus?
Wie es sich fast
bei jedem Scientologen auswirkt: Mit dem finanziellen Bankrott. Ich
würde sagen,
dass über 90% der Scientologen hoch verschuldet sind. Was hast Du
gesehen
was Dir nicht gefallen hat und warum bist Du trotzdem dabei geblieben?
Es gibt sehr viele
Gründe, trotzdem dabei zu bleiben: Man hatte schon viel Geld bezahlt,
der
Gruppendruck, das Spitzelsystem mit „Wissensberichten“,
„Sicherheitsüberprüfungen“, die finanzielle Abhängigkeit in einem
Umfeld mit
fast nur Scientologen – und: der Druck, den Scientology auf seine
Mitglieder
ausübt, um sie bei der Stange zu halten!Hast Du in
Deiner
aktiven Zeit bei Scientology kritische Berichte über Scientology im TV
gesehen
oder in den Zeitungen gelesen?
Nein, kaum. Man ist
angehalten, diese „Feindpropaganda“ zu meiden – und landet bei
„Ethik-Offizier“, wenn man sich nicht daran hält.Wenn ja, was
hast Du
Dir damals gedacht? Gab es spezielle Anweisungen wie man auf solche
Berichte
regieren soll?
Scientology sagte
mir – und allen anderen, dass diese Berichte von Verbrechern gemacht
würden,
nur Lügen enthielten usw. Ausserdem war jeder – so Hubbard, der
Scientology angriff ein Verbrecher. An diese Vorgaben hielt ich mich –
leider.Wie und wann
hast Du
Dich über Scientology informiert?
Erst nach meinem
Ausstieg im Jahr 2002 – über Internet, Freunde, ehemalige Scientologen
usw.Wann bist Du auf
den
Gedanken gekommen, dass da irgendwas nicht stimmt?
Die Zweifel begannen
schon Ende der 80er-Jahre – als ich die Stufe „Clear“ erreichte. Ich
dachte mir
damals: „Das war es jetzt? Das kann es doch nicht geben. Das war alles
und
darum wird so ein Affentanz aufgeführt?“Trotzdem sollte es noch weit über 10 Jahre dauern, bis diesem Gedanken auch Taten folgten. Welche Probleme
hat
die Mitgliedschaft bei Scientology für Dich geschaffen?
Eigentlich in der
Situation selbst keine. Erst nach meinem Ausstieg bemerkte ich, wie ich
tickte,
was ich alles in meiner Zeit bei Scientology verloren hatte,
abtrainiert bekam
usw. Wie hast Du es
geschafft aus Scientology auszusteigen?
Eigentlich nur mit
der Hilfe eines Menschen, der mich liebte und an mich glaubte – der
Krebs war
dann nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.Wie lebst Du heute mit den Erfahrungen, die Du aufgrund der Mitgliedschaft bei der Scientology Organisation gemacht hast?Es ist verdammt schwer, wieder zu einem normalen Menschen zu werden. Es ist jetzt 6 Jahre her, dass ich ausstieg und ich kämpfe immer noch mit einer Vielzahl an Mustern: ich befürchte, dass dies auch noch eine Weile so sein wird.Was ist das
Wichtigste, was Du den Menschen über Scientology sagen möchtest?
Scientology ist –
unter Garantie nicht das einzige – System, das etwas ganz anderes
vorspiegelt,
als es letztendlich ist. Wenn man Scientology kennen lernt, zeigt der
„Schein“
eine Organisation von engagierten und freundlichen Menschen, die
scheinbar für
jedes Problem eine Lösung parat haben und diesen „scientologischen Weg“
in
Permanenz im Munde führt.Nach gar nicht langer Zeit zeigt sich dann das wahre Gesicht: Eine neofaschistische, totalitäre Organisation verpasst einen Scheuklappen, die keinen Blick nach links oder rechts freigeben. Wenn man sich vorstellen möchte, wie das abläuft, braucht man sich nur das Märchen „Rotkäppchen“ in Erinnerung rufen. Scientology liegt im Bett der Grossmutter, hat noch einen dicken Bauch vom Verzehr derselben, dafür aber genug Kreide gefressen, um Rotkäppchens Blick von den Wolfstatzen abzulenken – immerhin möchte der Wolf ja auch Rotkäppchen fressen. Das darf man nie vergessen, wenn man Scientology oder Scientologen gegenüber steht: Auf ihre Art sind sie alle verkleidete Wölfe, die nur eines im Sinn haben: das Rotkäppchen zu fressen! Vielen Dank an Wilfried Handl für dieses Interview und Alles Gute für den weiteren Lebensweg ohne Scientology! zum Weiterlesen:
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