Interview mit KINS



(weiblich, 36 Jahre alt, seit dem 16. Lebensjahr ausgestiegen)


Wurdest Du in eine scientologische Familie hineingeboren? - Wenn nicht: Hattest Du noch Erinnerungen an Dein Leben vorher – gute oder schlechte? Hast Du etwas vermisst?


Ich war zwei Jahre alt, als sich meine Eltern Scientology anschlossen. Mein Vater kam durch einen Arbeitskollegen damit in Kontakt. Ich kann mich nicht erinnern, einen anderen Glauben zu haben, denn ich war ja noch so klein. Meine Eltern wurden beide im christlichen Glauben erzogen, doch wurde meiner Schwester und mir das nicht anerzogen. Sie sprachen erst dann darüber, als wir schon älter waren.



Als Du in Scientology aufgewachsen bist, hattest Du da noch Kontakt zur Aussenwelt? – Wie hast Du die Aussenwelt wahrgenommen?


Ja, wir hatten noch Kontakt zur Aussenwelt. Glücklicherweise waren meine Eltern niemals Mitarbeiter in einer Org oder einer Mission. Meine Schwester und ich waren immer auf öffentlichen Schulen, somit hatten wir täglichen Kontakt mit Leuten ausserhalb von Scientology. Meine Eltern hatten jedoch nur scientologische Freunde. Das Leben zu Hause war also Scientology und das Leben in der Schule war es nicht.

Meine Schwester und ich erzählten unseren Freunden und Schulkollegen nichts darüber, dass wir Scientologen waren. Wir schienen intuitiv zu spüren, dass uns das zu komischen Käuzen machen würde. Obwohl wir in öffentliche Schulen gingen, brachte man uns bei, dass „Wogs“ eine mindere Klasse mit weniger Fähigkeiten war, weil sie nicht die Lehren von Scientology befolgten. Wir hatten ein paar Freunde, doch man brachte uns bei zu glauben, dass diese Leute sich nicht auf unserem Niveau bewegten. Nun, ich denke, ich nahm die Aussenwelt als minderwertig und geistig weniger bewusst wahr … aus diesen Gründen scheinen meiner Meinung nach viele Scientologen auch so herablassend zu sein.

 


Hatten Deine Eltern genug Zeit für Dich? Ich weiss, dass das eine sehr subjektive Frage ist, aber sieh es unter dem Gesichtspunkt: Hattest Du das Gefühl, dass Deine Eltern unter dem Aspekt der Eltern-Kind Beziehung genug Zeit mit Dir verbrachten? Fühltest Du Dich irgendwann vernachlässigt?


Da meine Eltern keine Mitarbeiter waren, kam es aufgrund von Scientology zu keinen Vernachlässigungen. Meine beiden Eltern waren berufstätig, und so waren wir nach der Schule schon in einem jungen Alter alleine; doch dies ist nichts ungewöhnliches für meine Generation. Wir hatten als Kinder sehr grosse Autonomie und wurden praktisch wie Erwachsene behandelt. Ich war sicherlich das Produkt der scientologischen Praktik, Kinder wie grosse Thetanen in kleinen Körpern zu behandeln. Man rechnete damit, dass wir uns zu einem grossen Teil um uns selbst kümmern würden; ich würde also sagen, dass meine Mutter und meine Vater nicht in ihre Elternrolle vernarrt waren.


Es kam zum Beispiel eine Zeit im Auditing meiner Mutter, als sie „zu der Realisation kam“, dass sie eigentlich nie Kinder haben wollte. Sie hatte das Gefühl, dass sie da mit uns reinen Tisch machen musste und sagte uns, wenn sie noch mal vor der Wahl stünde  würde sie abtreiben. Ein weiteres Beispiel: Meine Schwester leidet an Migräne. Wenn sie dann einen Anfall hatte, sagte meine Mutter immer, dass sie nur „herumdramatisierte“. Ich war als Kind eher dick, und meine Eltern gaben mir klipp und klar zu verstehen, dass ich ein Gewichtsproblem hatte. Die scientologische Praxis sieht vor, dass man nichts zurückhält; ich könnte meine Eltern also als grob oder barsch charakterisieren.



Hast Du von ganzem Herzen daran geglaubt, als Du drinnen warst?

 
Unglücklicherweise, ja.


Was hast Du beobachtet, das Zweifel an der ganzen Sache in Dir ausgelöst hat?


Als ich 13 war, startete ich mit dem Kurs „Hubbard qualifizierter Scientologe“. Während dieses Kurses fing ich an, mich mit der speziellen Sprache und einigen der Übungen ziemlich unwohl zu fühlen. Genauer gesagt gab es einige Dinge, die ich in den Auditing-Sessions nicht ansprechen wollte; ich fand ziemlich schnell heraus, wie man eine Nadel zum Schweben bringt, ungeachtet dessen, was ich dachte oder fühlte. Ausserdem hatte ich das Gefühl, dass es einige Dinge beim Bull-Baiting gab, die einfach nicht in Ordnung waren; wie z. B. ein männlicher Kurs-Supervisor, der in sehr anschaulichen Details über Sex sprach und versuchte, den BH meiner Schwester aufzuhaken usw.


Ein weiteres Beispiel: Es gab da einen älteren Mann, der versuchte eine Beziehung mit meiner 13-jährigen Stiefschwester zu beginnen: Er sagte zu ihr, dass sie sich in einem vergangenen Leben gekannt hätten – und dass wir alle Thetanen wären und Alter deswegen keine Rolle spielt. Auch wenn ich jetzt zurückschauen und sehen kann, dass ich die beschriebenen Zweifel hatte, so gab ich mir damals doch selbst die Schuld. Ich dachte, dass mit mir  etwas nicht stimmte, und nicht notwendigerweise mit Scientology.


[siehe dazu: Tax-exempt Child Abuse and Neglect ?]



Hattest Du die Möglichkeit oder das Vertrauen in Deine Eltern, Deine Gedanken offen mit Ihnen zu diskutieren?


Nein, zuerst nicht. Meine Eltern liessen sich scheiden, als ich 11 war. Beide heirateten danach wieder, meine Mutter einen Ethik-Offizier der Mission in unserer Gegend. Es gab KEINE Kritik an Scientology in diesem Haus. Als mein Vater wieder heiratete, bekamen meine Schwester und ich zwei Stiefschwestern und einen viel jüngeren Stiefbruder (alle Mädchen waren in etwa im gleichen Alter – der Unterschied war maximal 2 Jahre).


Als wir dann den HQS Kurs starteten, fingen wir langsam an, über die Dinge zu sprechen, die uns nicht gefielen. Ich glaube, wir haben uns gegenseitig bestärkt, und schliesslich gingen wir zu meinem Vater und unserer Stiefmutter. Diese hatten zu der Zeit selbst schon einige Zweifel, da sie Freunde hatten, die declared (zur unterdrückerischen Person erklärt) worden waren. Zudem regte sich mein Vater darüber auf, dass es so lange dauerte, bis wir den Kurs fertig hatten; er war sehr wütend, als er herausfand, dass wir den halben Tag in der Org damit verbrachten dort zu arbeiten (Telefonanrufe entgegennehmen, Akten ordnen, putzen ect.). Als wir ihm dann noch einige andere Vorfälle erzählten, ging er schnurstracks zum Ethik-Offizier unserer Org und konfrontierte ihn mit den Vorwürfen.



Warum bist Du gegangen? Musstest Du die Verbindung mit anderen Familienmitgliedern (Eltern, Brüdern, Schwestern …) deswegen abbrechen?


Als mein Vater den Ethik-Offizier mit den Vorwürfen konfrontiert hatte, drohte man ihm, dass er declared würde. Ich glaube, sie versuchten ihm einen Ethik-Zustand zu verordnen, doch er entschied schlussendlich, dass er die Verbindung mit seinen Freunden nicht abbrechen wollte; und so weigerte er sich irgendetwas mitzumachen, was ihm die Church vorschrieb. Daraufhin wurde er declared (gerade als wir den HQS Kurs beendet hatten). Meine Schwester und ich waren 16 und 17 ½ Jahre zu der Zeit und wir verbrachten immer noch eine Woche bei meinem Vater und eine Woche bei meiner Mutter.

Als das alles dann passierte, bekamen wir, als wir bei unserer Mutter waren, immer wieder Anrufe von der Church; man forderte uns auf, die Verbindung zu unserem Vater abzubrechen. Unsere Mutter und unser Stiefvater drängten uns ebenfalls dazu, die Verbindung mit ihm abzubrechen. Dann entschied meine Mutter, da wir die Verbindung zu unserem Vater nicht abbrechen wollten, müsste sie die Verbindung zu uns abbrechen. Sie zog nach Los Angeles. Also lebte ich dann ständig bei meinem Vater. Mit diesen ganzen Widersprüchen und Konflikten hatte ich schwer zu kämpfen, und ich dachte ziemlich lange, dass deswegen etwas ganz schlimmes passieren würde. Erst ein paar Jahre später fing ich dann an, Scientology selbst zu hinterfragen.



Da Scientology das erste Glaubenssystem ist, das Du kennengelernt hast – hast Du Dich inzwischen einem anderen Glaubenssystem angeschlossen? Welche Art von Schwierigkeiten hattest Du, Dich an ein neues Glaubenssystem anzupassen (kann jegliche Religion oder Philosophie sein)?


Nein, ich habe mich keinem anderen Glaubenssystem angeschlossen und kann das auch nicht tun. Ich finde die Perspektiven einer Religion (um es vorsichtig auszudrücken) unattraktiv. Ich halte mich für ein geistiges Wesen insofern, als ich daran glaube, dass es weitere Kräfte gibt, die auf uns wirken - und nicht nur Wissenschaft und Biologie. Doch habe ich keine Ahnung, wer oder was diese Kräfte sind. Ich kann darauf aus einer spirituellen Perspektive keine Antwort geben; doch damit hab ich kein Problem.



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