Interview mit Gerhard Förster über seine Jahre in Scientology

"SCIENTOLOGY MEINE ZEIT IN DER SEKTE"


Interviewfragen von: Ilse Hruby
14.12.2001
 


Wie wurdest Du für Scientology geworben?

Wie die meisten anderen auch, durch Anquatschen auf der Strasse wegen eines Persönlichkeitstests. Ich dachte, ich wäre in einer Art psychologischen Institut mit katholischem Einschlag gelandet (wegen des Kreuzes auf der Wand) und schrieb mich für den Kommunkationskurs ein. Ich war nicht ganz 19 Jahre alt und noch ziemlich naiv. Ausserdem war 1974, damals kannte noch niemand so etwas wie Psychosekten. Dennoch will ich mich nicht darauf ausreden. Ich musste eine gewisse Sektenanfälligkeit gehabt haben, denn es gab ja auch zu dieser Zeit Leute die dagegen immun waren. Mir imponierten damals solche Vaterfiguren wie John Wayne. Und ich hatte Verständnis dafür, dass der Zweck gewisse Mittel heiligt. Auf Scientology übertragen bedeutet das, dass man in der Wahl der Werbemethoden nicht zimperlich sein sollte, da es darum ging, "den Planeten zu klären". Wir bekamen vermittelt, dass L. Ron Hubbard durch seine Forschungen die Lösung für die Menschheitsprobleme gefunden hat und die Geschichte deshalb ein Wettlauf zwischen der Atombombe und Scientology geworden ist. Das rechtfertigt natürlich vieles, dafür konnte man schon Opfer bringen.
 

Wird man so zum fanatischen Sektenanhänger?

Ja! Bei mir ging das aber nur bis zu einem gewissen Grad. Unterbewusst wusste ich recht bald, dass das Individuum immer Vorrang haben sollte, egal wie "glorreich" eine Ideologie auch sein mag. Dennoch dauerte es sehr lange, bis ich die Konsequenzen zog. Vielleicht zum Teil aus Eitelkeit? In einer Sekte kann man schliesslich relativ leicht den "Einäugigen unter den Blinden" spielen. Eigentlich wollte ich ja Hubbard bloss eine Chance geben, unter dem Motto: "Wehe, wenn er nicht hält, was er verspricht!" Aber irgendwie haben sie mich dann eingewickelt. Der pseudowissenschaftliche Touch und meine Unerfahrenheit spielte dabei auch eine Rolle. Mit Jesus-Gläubigkeit oder "Hare-Krishna"-Gehopse hätten sie mich nie drangekriegt. Das sind andere Zielgruppen.
 

Was denkst Du über Scientology als Religion?

Ein "Schmäh" (= Trick) der Organisation um: a) Steuerbefreiung zu erlangen und b) durch den Religionsstatus unangreifbarer zu sein. Zumindest sehe ich das so. Ein gewisser Vaughn Young soll die Religionsmasche Ende der Fünfzigerjahre für Hubbard aufgezogen haben. – Allerdings muss man sagen, dass gewisse spirituelle Aspekte tatsächlich vorhanden sind. Leider fehlt es Hubbard und seinen Epigonen an Bescheidenheit, um diesbezüglich grosse Fortschritte zu machen. Scientology spricht Leute an, die in einer pubertären Form von Spiritualität stecken. Wenn man keine Lebenserfahrung hat, kann einen dieses bombastische Zeug vielleicht beeindrucken, das Leben lehrt einem jedoch –  meiner Meinung nach –  dass die Spiritualität in den kleinen, einfachen Dingen zu suchen ist. Es lehrt einem auch, dass man mit der Kursgebühr keine Erleuchtung kaufen kann. – Im Übrigen weckt Scientology die Illusion, dass man hier Methoden findet, die einem helfen, in unserer Leistungsgesellschaft Karriere zu machen.
 

Wussten Deine Eltern oder Geschwister davon?

Da ich noch minderjährig war, (in den siebzigern wurde man in Österreich erst mit 21 Jahren volljährig) musste ich meine Mutter einweihen. War mir etwas peinlich, da ein "starker Mann" wie ich so einen "Psychokurs nicht nötig hat". Doch Scientology soll ja nur "die Fähigen noch Fähiger machen", und so schämte ich mich bald nicht mehr dafür. Im Gegenteil, ich gockelte vor den Eltern herum, Krümmchen meiner "Weisheit" verbreitend. – Meinem Vater war es solange egal, solange ich es als Hobby betrachtete. Als ich 1975 Mitarbeiter wurde, brach eine Welt für ihn zusammen. Er dachte, dass ich jetzt denselben Mist durchmachte, wie er damals bei den Nazis. (Nie hätte ich es damals für möglich gehalten, dass ich ihm einmal weitgehend recht geben würde.)
 

Hattest Du bei Scientology bestimmte Pflichten?

Als Kursmitglied brauchst Du Dich nur um den Kurs zu kümmern, wirst allerdings immer wieder "interviewt", um für weitere Dienstleistungen oder für einen Vertrag als "Staff-Member" (Mitarbeiter) angeworben zu werden. Als Mitarbeiter war meine Aufgabe zunächst, die Leute auf der Strasse zum Persönlichkeitstest zu überreden. Später wurde ich zum "Testauswerter" befördert. Das blieb ich etwa 2 1/2 Jahre lang, bis zum Ende meiner "Staff"-Zeit. Ich hatte täglich (7 Tage pro Woche!) von 9h - 12h "Studierzeit", wo ich Mitarbeiterkurse, etc. machte. Die Arbeitszeit war von 13h - 18h und von 19h - 22h (Donnerstag nachmittag und Sonntag abend waren frei). Oft ging es auch nach 22h weiter, wenn im Warteraum ein paar Unermüdliche auf das Testergebnis warteten. – Nach den insgesamt 3 Jahren "Staff", war ich frei. Ich machte noch ein paar Kurse, doch ich war nicht mehr unter der "geistigen Käseglocke" der Organisation. Der Zusammenprall der (grauen) Scientology-Theorie mit der Praxis des wirklichen Lebens brachte mich täglich ein winziges Stückchen weiter weg von Scientology. Die schwärzeste Zeit kam, als ich schliesslich erkannte, dass Hubbards grosse Versprechungen eine Seifenblase sind, auf Grund der Tatsache, dass wir alle noch genauso blöd wie vorher waren – um es trivial auszudrücken. Aber da musste ich durch... deshalb bin ich heute auch geistig frei. Ich kenne Leute die schon lange weg, aber noch immer in der Lehre gefangen sind. Vielleicht kann man manchmal sogar von Scientology profitieren, aber NUR, wenn man das Zeug "mit Füssen tritt"!! Ehrfürchtige Gläubige... pardon, "Wissende" sind bloss nützliche Idioten!
 

Wie kam es dann definitiv zu Deinem Ausstieg?

Trotz allem war ich der Organisation noch sehr verbunden, eigentlich den Menschen dort. Zum Teil waren das echte Freunde. Mit manchen stehe ich heute noch in Verbindung. Sie sind natürlich ebenfalls längst ausgestiegen. Einer dieser Freunde wurde dann rausgeworfen, weil er unbequem für das Management war. Ich unterstützte ihn, und so wurden wir beide zur Persona non Grata erklärt ("Declare as a suppressive Person").
 

Wie wirkte sich Scientology finanziell auf Dich aus?

Also meine Sparsamkeit haben mir die Scientologen nicht nehmen können. Ich habe nicht viel Geld investiert. Ich war dafür so dispositioniert, dass man meine Arbeitskraft leicht ausnützen konnte, weil ich mich beweisen wollte.
 

Wie hat sich Scientology auf Dein Leben ausgewirkt?

Ich bin ein Kind der Leistungsgesellschaft, und Scientology spricht genau diese Klientel an. Positiv finde ich, wie sich Scientology auf mein Verhalten in Krisenzeiten auswirkte: vielleicht baue ich immer wieder Mist, aber wenns um echte Probleme geht, schaue ich nicht weg, sondern versuche genau das Richtige zu tun. Andererseits fiel es mir sehr schwer, das eintrainierte Verhalten, alles selbst herbeiführen zu wollen ("Ursache sein"), wieder loszuwerden. Zwischenmenschliche Beziehungen, die sich langsam entwickeln, das Geniessen von kleinen Dingen, ohne selbst aktiv zu werden (z.B. sich an  einem Kinderlachen erfreuen)... all das ist Scientologen, mit ihrem dummen, amerikanischen "Think big"-Denken, ziemlich fremd. Im Grunde ist diese Karikatur des Kapitalismus ein freudloser Haufen, der in bombastischen Hirngespinsten lebt (in einer imaginären Zukunft also, obwohl sie ständig sagen: "Sei in der Gegenwart!"). Dabei glauben sie, es ginge ihnen gut. –  Dass Scientologen Hubbards Allmachtsphantasien auf den Leim gehen, hat auch damit zu tun, dass Hubbard mehr und detailreichere Versprechen abgab, als andere "Gurus". Grössenwahnsinnig wie er war – glaubte er wohl selbst daran (in der Endphase wahrscheinlich nicht mehr). Sektenführer (auch jene aus der Politik) sind ja gerade wegen ihres gelebten Fanatismus so überzeugend. Ich hab den Eindruck, die Öffentlichkeit glaubt von einer Sekte, dass da irgendwo ein Oberfiesling sitzt, der sich kühl berechnend eine Lehre ausdenkt, um damit abzucashen. Das ist Quatsch.

Allerdings kommt mit der Macht meistens auch die Korruption, wie die Geschichte bekanntlich zeigt. Im Grunde ist das nicht so entscheidend...ein ehrlicher Fanatiker kann genauso gefährlich sein wie ein Korrupter! – Rückblickend denke ich, dass so manche meiner "guten" und "schlechten" Eigenschaften die ich mit Scientology in Verbindung bringe, schon in mir angelegt waren. Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Man sucht sich eben die Sekte aus, die zu einem passt und pickt sich das heraus, was man hören will. Doch Scientology hat vorhandene Anlagen vermutlich verstärkt.
 

Bist Du weit gekommen auf Hubbards "Brücke zur totalen Freiheit"?

....die bei so Manchem zur totalen Unfreiheit führt. – Nein, ich bin nicht weit gekommen, kein "Clear"-Status, keine "OT-Stufen"... und ich war ein lausiger "Student". Hubbards "Studiertechnologie" machte mich verrückt. Dieses penible Wortklären, obwohl ich sowieso ein sehr gründlicher Typ bin... Aber etliche Kurse werde ich wohl doch absolviert haben, "Auditing" auch. –  Jetzt sehe ich förmlich die Scientologen vor mir, wie sie dieses Interview lesen und triumphierend aufheulen: "HA, da sieht man´s wieder... dieser Kerl hat null Ahnung, aber er redet gross daher!" – Liebe Leute, man bekommt SCHON ein bisschen was mit, wenn man 3 Jahre auf "Staff" war, 10 Jahre lang mit der Organisation, bzw. später mit der Aussteigerszene in Verbindung stand, etliche Kurse besuchte, Hubbards Bücher und einen Haufen kritischer Werke las. –  Aber es stimmt, über die "Body Thetans" (Geistwesen die in grosser Zahl am menschlichen Körper kleben und dem Individuum "böse" Sachen zuflüstern, so dass man sie auf den "OT-Stufen" ausauditieren muss) habe ich nur theoretische Kenntnisse. Aus purer Ignoranz argwöhne ich sogar, Hubbard könnte paranoid gewesen sein.
 

Scientologen haben einen sehr schlechten Ruf und sogar Ex-Scientologen wird manchmal mit Misstrauen begegnet....

...wohl weil befürchtet wird, so ein Ex-Scientologe könnte immer noch aktiv sein. Ich finde diese Angst übertrieben, auch jene, dass sich Scientologen in eine Firma einschleusen, um sie zu übernehmen. Scientology ist meiner Meinung nach: a) ein ziemlich dilettantischer Haufen und b) sehr unflexibel, wie das bei Sekten ja meistens der Fall ist. Früher oder später verrät sich so ein "Undercoveragent", meistens schon sehr bald. Und nur weil ein Scientologe in einer Firma beschäftigt ist, heisst das noch gar nichts. Der muss ja schliesslich wie jeder andere etwas arbeiten, und sei es auch nur, um das sauteure "Auditing" zu bezahlen. Vielleicht unterschätze ich jetzt die Gefahr, aber ich denke, man sollte Scientologen und Ex-Scientologen primär als MENSCHEN sehen. Es sind oft nicht die Schlechtesten, die in eine Sekte geraten (Wer keine Ambitionen hat, kann da natürlich nicht reingezogen werden)! Wir sollten sie NICHT AUSGRENZEN, sondern versuchen, sie in das REALE LEBEN WIEDER EINZUBINDEN, ohne dogmatisch zu sein, ohne endlose Streitgespräche zu führen, wo jeder versucht den anderen zu überzeugen und zu beschuldigen und sich die Positionen nur verhärten. (Diese Aufforderung richte ich auch an mich selbst, da ich auch zu dieser Art von Bekehrerei neige.)

Und noch was: Versuchen wir den Sektenanhängern mit HUMOR zu begegnen, denn ich vermute, dass Humor das ist, was ein Guru am meisten fürchtet!

 

Vielen Dank an Gerhard Förster für dieses Interview!




Gerhard Förster, der bekannte Comic-Experte, Letterer und Zeichner hat seine Erfahrungen mit Scientology in einem Comic zu Papier gebracht, der viel Witz und Sinn für die Absurdität der Realität enthält. Man erfährt aber auch interessante Details über das Sektenleben, wie sie nur ein Insider kennt. Er hat hat sich mit diesem Projekt auf ein gewagtes Terrain begeben, auf welches sich bisher fast nur Amerikaner wagten, das der autobiographischen Comics.
Sein Scientology-Comic erscheint in Fortsetzungen innerhalb seines selbst fabrizierten Comicheftes "VON MIR!", in dem er auch Einblicke in sein Beziehungsdurcheinander gibt.

 
Mit Nr.4 ist die Reihe abgeschlossen.
Ein Heft kostet € 4,60
Doch sein ganzer Stolz sind die Abonnenten, die er verwöhnt:
Ein Abo (Nr.1-4) kostet € 17,--
Das Geheimdossier kostet € 2,50,--
(zum Abo bekommt man noch DREI EXTRAHEFTCHEN und eine ORIGINALKARIKATUR!!)

Bestelladresse:

Gerhard Förster
gerhardfoerster@gmx.at
oder beim Verlag Schwarzer Turm
   


Eine Leseprobe aus Nr.1 "VON MIR!":

"SCIENTOLOGY MEINE ZEIT IN DER SEKTE"

20. August 2008: Der gesamte Comic ist mit Erlaubnis von Gerhard Förster nun komplett im Internet nachlesbar. http://www.comicinsel.at/foerster-3.html


Copyright© für die Grafik by Gerhard Förster



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