Interview mit Fredy Gareis über seine Undercover Zeit
in der Scientology-Zentrale in Berlin

Interview-Fragen von: Ilse Hruby
 
im Juni 2008


Der Journalist Fredy Gareis recherchierte fünf Monate lang für den stern hinter den Kulissen der Berliner Scientology Repräsentanz. Als "Thorsten Brock" schleuste er sich mit einer kleinen Minikamera, die stets bei ihm war, in die Scientology Organisation und dokumentierte alle Fakten vom Beginn bis zum Ausstieg.
 

Ihr Vorhaben in die Zentrale der Scientology Organisation zu gehen und sozusagen "probeweise" Scientologe zu werden, war ja geplant. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Es hatte mich einfach geärgert, dass einige Qualitätsmedien einfach mal durch die neue Repräsentanz spaziert sind, sich von der Sprecherin haben rumführen lassen und dann eine ganze Seite vollgeschrieben haben. Das kann man schon machen. Aber da muss irgendwann mehr kommen. Scientology wirkt auf den ersten Blick harmlos, da muss man schon eintauchen.
 

Was hatten Sie für ein Gefühl als Sie durch die Eingangstüre hineingegangen sind?

Ich war sehr unsicher, was passieren würde. Wie schnell man reingezogen wird, oder wie lange man das aushält. Der erste Eindruck war, dass die Leute dort extrem freundlich waren, ich aber auch schnell von einer Station zur anderen geführt werden sollte, um dann unverzüglich einen Kurs zu bezahlen und anzufangen.
 

Welche Kurse haben Sie gemacht?

  • Probleme der Arbeit
  • Selbstanalyse
  • Die Auf und Abs im Leben überwinden
  • Persönliche Effizienz

Was dachten Sie nach dem ersten Blick auf die Kursmaterialien?

Was für ein billiger Quatsch. Und dafür habe ich jetzt Geld gezahlt.
 

In der Scientology PR gilt offiziell "Wahr ist was für Dich wahr ist" für die Scientology-Lehre, d.h. man müsse nichts blind akzeptieren. Konnten Sie dies so erleben, oder wurde bei Zweifel oder Kritik behauptet, Sie hätten etwas "nicht verstanden"?

Na klar. Jedwede Kritik glitt ab und wurde umgelenkt. Eine Diskussion um Inhalte gab es nicht. Es wurde gesagt, dass es schon für mich "real" werden würde.
 

Gab es für die Kinder ausser dem Auditing und dem "studieren" der Hubbard Lehren auch Möglichkeiten zu spielen? Vielleicht eine Spielecke in der Organisation?

Da habe ich keine gesehen. Aber das soll nichts heissen, da ich vielleicht nur ein Drittel des ganzen Gebäudes gesehen habe. Da kann ich wirklich keine zuverlässige Aussage machen.
 

Gab unter den Scientologen es sowas ähnliches wie ein "Miteinander" oder  Gruppendenken zB. "Wir wollen gemeinsam über die Brücke gehen"? Oder fördert das Programm von Scientology ein Einzelgänger- oder Einzelkämpfertum?

Auf den unteren Stufen eher Einzelkämpfertum. Wie es auf den höheren ist weiss ich nicht. Aber eigentlich sind ja alle Kursinhalte so ausgelegt, dass man immer im Selbststudium arbeitet. Und im Auditing ist man ja auch nicht in einer Gruppe. Als Einschätzung würde ich sagen, dass das Separieren von Menschen eher den Zielen von Scientology entgegen kommt.  
 

Wurde seitens der Organisation auch nach Ihrer Familie gefragt? zB. über deren Einstellung zu Ihrer neuen "Religion" oder über den finanziellen Hintergrund der Eltern und ggf. auch der der Grosseltern?

Natürlich. In einem zehnseitigen Fragebogen wurde nach dem Beruf der Eltern ausgefragt und nach ihrer Einstellung Scientology gegenüber.
 

Wurde Ihnen nahegelegt, auch Familienmitglieder oder Leute aus Ihrem Freundeskreis für Scientology zu begeistern bzw. für Scientology zu werben?

Ja. Darüber hinaus gab dafür extra einen Kurs. Gutes Rekrutierungsfeld für die Scientologen.
 

Hatten Sie das Gefühl man will Ihnen das gesamte Umfeld, wie Familie und bisherige Freunde wegnehmen bzw. austauschen?

Eigentlich nicht. Aber die Frage hätte sich schon bald gestellt, da bin ich mir sicher, wenn ich tatsächlich angefangen hätte, dort 52,5 Stunde die Woche zu arbeiten.

Wurde in der Org über Kritiker gelästert, und wenn ja, wie? Interessant wäre sowohl über die "alten" Kritiker als auch über die "neuen" ("Anonymous")?

Über Anonymous hat man sich eher lächerlich gemacht. Und zu Frau Caberta wurde mir gesagt, dass man mit ihr "grosse Fortschritte" macht, weil man rausgefunden hätte "dass sie Geld angenommen hätte".

Wie geht es Ihnen heute nach Ihrem quasi "Ausstieg"? Was möchten Sie den Menschen über das System Scientology und den Auswirkungen auf den Einzelnen sagen?

Mir geht es gut. Ich bin froh, dass es vorbei ist. Andererseits ist natürlich klar, dass mich das Thema nun mein journalistisches Leben lang begleiten wird. Aber das ist gut so, denn nur so bekommt man eine höhere Qualität in die Berichterstattung. Mit dem einen Artikel ist es bei Weitem nicht getan. Nur werde ich nun meine Herangehensweise ändern müssen.

Was kann ich noch abschliessend sagen?

Jeder Mensch will Teil einer Gemeinschaft sein, das Gefühl haben zu etwas höherem zu gehören oder besonders zu sein. Dazu lassen sich viele Menschen leicht führen und sind konfliktscheu. Das ist per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil, denn das heisst auch, dass viele Menschen sehr leicht Vertrauen fassen und an das Gute glauben. Nur: Scientology weiss über all das Bescheid und nutzt es schamlos aus. In die Fänge von Scientology zu geraten kann jedem passieren, da sie immer versuchen, den Finger in persönliche Schwächen zu legen und daraufhin eine Besserung anbieten.

Niemand sollte so arrogant sein, zu denken, dass die einen nicht kriegen können. Scientology ist wie der Gegenspieler in einem James-Bond-Film: Grössenwahnsinnig in Auftreten und Tätigkeiten – und dennoch Herr über eine funktionierende, weltumspannende Struktur. Doch je mehr Informationen die Menschen über diese Organisation haben, desto besser.

Das Internet ist, wie man auch durch "Anonymous" sieht, ein kraftvolles Instrument. Wir müssen Scientology immer weiter beobachten, denn sie werden nicht einfach aufhören. In Deutschland sind wir da noch gut aufgestellt, würde ich sagen, vor allem weil der Verfassungsschutz Scientology beobachtet, aber was ist mit Ländern, die noch keine Erfahrung mit solcherlei Organisationen haben, wie zum Beispiel China? Oder Afrika als Kontinent, ebenfalls ein extrem wichtiges Missionsgebiet für die Scientologen. Für Aussenstehende hören sich Interna aus dieser Organisation bestimmt absurd und teilweise unglaublich an. Eines muss jedoch klar sein: Es gibt da draussen finstere Kräfte, und Scientology ist eine davon.


Vielen Dank an Fredy Gareis für dieses Interview!



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