mit der freundlichen Genehmigung zur
Veröffentlichung von Hugo Stamm
Gruppenmitglieder versuchen oft
im Auftrag des Kultes, von den Eltern Unterstützungsbeiträge
zu erhalten. Manchmal wollen Angehörige mit freiwilligen
finanziellen Zuschüssen dem Sohn oder der Tochter das Leben in der
Gruppe erleichtern. Den vereinnahmenden Bewegungen und ihren
Anhängern sollte aber grundsätzlich kein Geld übergeben
werden. Denn die Spendenbeiträge landen in der Sektenkasse und
werden unter Umständen dafür verwendet, neue Mitglieder zu
ködern. Es ist sinnvoller, allenfalls Naturalien wie Esswaren,
Einrichtungsgegenstände, Kleider, persönliche Geschenke usw.
direkt dem Gruppenanhänger zukommen zu lassen. Allzu
grosszügig sollten Angehörige allerdings nicht sein, denn
Entbehrungen können die Ausstiegswünsche verstärken.
Eltern können hingegen abklären, ob ihre Tochter oder der Sohn ausreichend versichert ist. Allenfalls sollten sie eine Haftpflicht-, Unfall- oder Krankenversicherung finanzieren. Werden Gruppenmitglieder ernsthaft krank und brauchen eine intensive, kostenträchtige Pflege, werden sie von den Sekten oft fallengelassen oder ausgestossen. Kommen Gruppenmitglieder familiären Pflichten nicht nach, können Eltern eine Enterbung in Betracht ziehen. Damit stellen sie sicher, dass ihr Vermögen nach dem Tod nicht in die Hände der vereinnahmenden Gruppe fällt. Wer einen solchen Schritt ins Auge fasst, sollte sich bei Fachleuten über einen korrekten Weg erkundigen. Manche Kulte und Bewegungen drängen ihre Anhänger, von den Eltern einen Erbvorbezug einzufordern. Es gibt durchaus rechtliche Möglichkeiten, solche Begehren abzublocken, doch sollte sicherheitshalber fachlicher Rat eingeholt werden. Angehörige verstehen in der Regel nicht, weshalb sie nicht mit rechtlichen Mitteln gegen die totalitären Gruppen vorgehen können. Wenn die die persönlichkeitszerstörenden Auswirkungen der Indoktrination erleben, beginnen sie oft am Rechtsstaat zu zweifeln. Sie können es kaum fassen, dass die Sekten die entwürdigenden Psychomanipulationen quasi mit dem Segen von Polizei und Justiz vornehmen dürfen. Tatsächlich gibt es kaum juristische Möglichkeiten, um die Praktiken der vereinnahmenden Bewegungen einzuschränken oder die Kultmitglieder ihrem Einfluss zu entziehen. Sekten nutzen die Glaubens-, Gewissens-, Kultus- und Vereinsfreiheit geschickt für ihre Zwecke aus. Theoretisch liesse sich ein Gesetzesparagraph finden, um totalitäre Gruppen wegen ihrer Indoktrinationsmethoden einklagen zu können. In der Praxis erweist es sich jedoch als aussichtslos, psychische Manipulationen nachzuweisen. Diese sind nicht mess- oder qualifizierbar und Zeugen sind schon gar nicht beizubringen. Die betroffenen Mitglieder erklären nämlich jedem Polizist oder Richter lächelnd ins Gesicht, sie seien freiwillig in der Gruppe und rundum glücklich. Von unerwünschter Beeinflussung könne keine Rede sein, vielmehr fühlten sie sich so frei wie noch nie. Die Hoffnung auf eine Anzeige oder Klage müssen Angehörige begraben. Und Offizialdelikte, die die Behörden von Amts wegen verfolgen müssen, lassen sich Sekten selten zuschulden kommen. Sie sind im Umgang mit Gesetzen und Behörden viel zu erfahren und reizen den Spielraum geschickt aus. Nach dem Austritt aus der Gruppe sind die Möglichkeiten einer Klage besser, weil das Ex-Mitglied als Zeuge oder Kläger auftreten kann. Die Verarbeitung des Sektentraumas und die Resozialisation erfordern aber die ganze Energie, weshalb das Interesse an einem Prozess schwindet. Ausserdem ist den meisten Aussteigern in den ersten Monaten die Belastung eines Gerichtsverfahrens nicht zuzumuten. Ein Verhör oder die Konfrontation mit der Gruppe könnte den Abnabelungsprozess gefährden. Haben sich die Ex-Mitglieder psychisch stabilisiert, wollen sie in aller Regel die alten Wunden nicht mehr aufreissen. Copyright © für den Text bei Hugo Stamm, HTML von Ilse Hruby Hugo Stamm, geb. 1949, ist seit 1975 Redakteur beim Zürcher "Tages Anzeiger". Als Sektenspezialist ist Stamm ein in Deutschland und der Schweiz gefragter Interviewpartner. Stamm hält viele Vorträge und schreibt Bücher. Hugo Stamm: denken im wandel - esoterikboom & sinnsuche |