Mein Leben in der Mun-Bewegung


Schwarz-weiss, gut-böse, wir drinnen-die draussen.

Glorietts Welt war einfach, von ihrer Geburt an - bis sie 18 war. Und der Mun-Bewegung den Rücken kehrte. Das war gar nicht einfach. Dafür führt sie jetzt ein Leben in hundert Farben. "Sie werden sehen, Gloriett ist ein ganz besonderer Mensch", sagt German Müller, Leiter der Bundesstelle für Sektenfragen, der den Kontakt zwischen der 23-jährigen Steirerin und 'Youngworld' hergestellt hat. Besonders ist sie allein durch ihre Geschichte. Denn Gloriett Halmdienst ist in der Mun-Bewegung aufgewachsen. 1977 wurden Glorys Eltern von ihrem Messias San Myung Mun "gematcht" und "gesegnet". Soll heissen: zusammengefügt und verheiratet. Gekannt haben sich die beiden vor ihrer Hochzeit flüchtig. Das ist bei den "Munies" so üblich. 1978 kam Gloriett auf die Welt. Anders als ihre Eltern gilt sie, wie alle Kinder, die aus Mun-Ehen hervorgehen, schon von Geburt an als gesegnet.

Die Aussenseiterin
Besonders ist Gloriett auch durch ihr Aussehen. "Meine Mutter ist aus Japan, mein Vater ist aus Mürzzuschlag", erklärt sie. Durch den kulturellen Unterschied - und natürlich auch dem Sektenhintergrund - waren wir immer Aussenseiter im Ort. Der Multikulti-Background hat Gloriett nie gestört - im Gegenteil: "Die Munies sind ein kunterbunter Haufen. Menschen aus aller Welt kommen zusammen wie Bruder und Schwester. Eine eingeschworene Gemeinschaft, in der ich mich als Kind sehr geborgen gefühlt habe."

Mit 18 Jahren hat sie ihre Sachen gepackt und ist einfach davonmaschiert. Weg von zu Hause. Weg von den Munies. Was danach kam war schlimm. Aber auch davor war es nicht einfach gewesen. Die Zweifel nämlich hatten schon lange vor dem grossen Knall begonnen.

So mit 14, 15 Jahren. Denn ihre Freundinnen und Klassenkolleginnen in Mürzzuschlag waren keine Munies. Und hatten angefangen auszugehen, Jungs zu treffen. Alkohol zu trinken oder die erste Zigarette zu probieren. All das kam für Glorys Eltern nicht in Frage. Munies gehen nicht aus. Basta. Nur Video schauen bei der Freundin ging gerade noch durch. Und weil deren Eltern dichtgehalten haben, ist Glory dann doch - wie alle anderen durch die Lokale gezogen. Oder im Gruppenraum der Katholischen Jugend gesessen - mit der Clique und einem "echt coolen" Gruppenleiter. "Die Menschen dort haben sicher wesentlich zu meiner Ablösung von der Sekte beigetragen", grübelt Gloriett. "Ich habe damals begriffen, was wirkliche Meinungsfreiheit bedeutet. Nämlich, dass Kritik und Provokation nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht sind."

Doch darüber konnte sie zu Hause genauso wenig sprechen wie über ihre erste grosse Liebe. Und weil Turteln in der Öffentlichkeit riskant war, bleiben Glory und ihr Freund meist bei ihm zu Hause. "Eine super-harmonische, katholische Familie", erinnert sie sich, "ich war baff, dass so was auch ausserhalb der Mun-Gemeinschaft möglich ist. Innerhalb der Bewegung herrscht das Bild, dass es draussen nur Scheidungen und zerrüttete Familien gibt." Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff die Hübsche mit den tollen Mandelaugen, dass es nicht nur gut oder böse, schwarz oder weiss gibt, sondern alles miteinander. Und dazu noch hunderte Grautöne. Und zu all dieser Vielfalt kam dann noch der magische Satz: Wir mögen dich, wie du bist. "Das hat mich echt umgehauen", sagt die 23-jährige, "denn: Wie war ich denn eigentlich?"

Wer bin ich? Diese Frage stellt sich ein Munie nicht. Er fragt: "Wie muss ich sein, um den Anforderungen der Gemeinschaft zu genügen. Um den Vorschriften des Messias San Myung Mun zu entsprechen? Um unserer Bewegung zu Ansehen und Ruhm zu verhelfen?" Wie muss ich sein, um Ich zu sein, kommt im Denken eines Munies nicht vor.

Weg, nur weg
Der Spagat zwischen "der Welt draussen" und der Mun-Gemeinschaft wurde immer grösser, der Stress und moralische Druck für Glory immer unerträglicher. "Alles, was ich tat und dachte, war verboten. Ich wollte so leben wie die das draussen, aber die Schuldgefühle waren kaum auszuhalten." Also Flucht. Weg von zu Hause, ab in die USA. Die Eltern gaben nach, beschlossen aber gemeinsam mit dem Leiter der regionalen Mun-Bewegung, dass nur ein Aufenthalt bei einer Mun-gläubigen Familie in Frage komme. Nach der Matura fuhr Gloriett los - und kam von Regen in die Traufe.

"Ich war verzweifelt. Alles schien ausweglos. Es war mir, als ob die Gemeinschaft immer dabei sein würde, egal wohin ich gehe", erinnert sie sich. Diese totale Resignation und Heimweh trieben sei nach wenigen Monaten zurück nach Österreich. Wo sie in Wien erst mal zu studieren begann.

Aber der Druck der Mun-Gemeinschaft wurde immer grösser. Denn Glory war 18, das heisst, alt genug für die Segnung, sprich Heirat. Anders als ihre Eltern, die noch persönlich von San Myung Mun gematcht wurden, schicken die Munies heute nur noch Fotos von sich ein, aus denen der Messias dann die perfekten Paare zusammenfügt. Aber Glory wollte nicht. Wollte kein Foto einschicken, wollte nicht irgendeinen Fremden heiraten. Also packte sie ihre Sachen. Schmiss die Haustür hinter sich zu - und hat ihre Eltern danach zwei Jahre lang nicht gesehen. "Um ehrlich zu sein, war das Ganze kein tapferer Ausstieg aus der Sekte, sondern einfach eine Flucht von diesem enormen Druck. Und wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich sicher zwei Mal überlegt, ob es mir das wirklich wert ist", sagt Gloriett und wird auf einmal ganz ernst. Was folgte, war ein Existenzkampf, der diese ganz besondere Mädchen fast den letzten Lebensnerv gekostet hätte.

Hunderte sinnlose Behördengänge, Ansuchen um finanzielle Unterstützung, überforderte Sektenberatungsstellen und hilflose Therapeuten. Telefonterror und Drohbriefe aus der Mun-Gemeinschaft. Dazu schwere Depressionen und immer wieder der Gedanke, einfach Schluss zu machen. Mit dem ganzen Scheiss. Zum Glück gab es Oma. Die ihr Geld gab und der einzige Draht zu Eltern und Geschwistern war. Die Freunde aus der Schulzeit, die sie immer wieder auffingen. Und ihr neuer Freund. Der hat sei einfach zusammengepackt und bei seinen Eltern einquartiert. Zwei Jahre lang lebte sie in seiner Familie. "als fünftes Kind sozusagen", während sie in Graz weiterstudierte.

Raus an die Öffentlichkeit
Es wäre nicht Gloriett, wenn sie dem ganzen Horror nicht auf ihre eigene, ganz besondere Art ein Ende gesetzt hätte. "Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen, also habe ich einen Brief an die Redaktion Vera geschrieben." Das war im Jänner 1998. Zwei Tage später sass sie im ORF-Studio. Ihr gegenüber ehemalige Freunde aus der Mun-Bewegung. "Das Ganze dort ist unheimlich eskaliert. Aber danach hatte ich meine Ruhe", erzählt Glory, und zuckt dabei leicht mit den Schultern. Nicht nur Ruhe, auch kompetente Hilfe hat sie bekommen. "Nach der Sendung hat sich der Grazer Verein Netzwerk bei mir gemeldet, später - nach deren Gründung - dann auch die Bundesstelle für Sektenfragen", erzählt das Mädchen, "das waren die Ersten, die etwas anfangen konnten - mit einer wie mir."

Mit einer, die nicht nur kurz ins Sektenmilieu abgerutscht war, sondern ihr ganzes Leben lang dabei war. Das ist ungewöhnlich. Und besonders war wieder mal Glorys Konsequenz daraus. "Ich habe ein Buch geschrieben. Und viele, viele Vorträge gehalten. So habe ich mich quasi selbst therapiert." Unterstützt wurde sie dabei von "vielen ganz lieben Menschen, die immer offen und für mich da waren", räumt Gloriett ein. Ich musste mein Leben komplett umkrempeln, endlich lernen Eigenverantwortung zu übernehmen." Kontakt zu ihren Freunden aus der Mun-Bewegung hat sie nicht mehr. Nur zu denen, die wie sei ausgestiegen sind - etwa die Hälfte des ehemaligen Freundeskreises schätzt Glory. Kontakt hat sie auch wieder zu ihren Eltern. "Beim ersten Mal war's ganz, ganz eigenartig," erinnert sie sich nur ungern, "wäre der Hund nicht gewesen, ich hätte mich sofort wieder umgedreht." Aber da waren auch ihre Geschwister - David, vier Jahre jünger und mittlerweile auch ausgestiegen. Und die kleine Marietta, 13-jähriges Nesthäkchen. "Sie war der Hauptgrund für mich, wieder nach hause zu kommen", sagt Gloriett.

Ganz normaler Alltag
Und so führt die 23-jährige nun endlich das selbe Leben wie "die draussen". Gar nicht besonders eigentlich. Mit guten Freunden, regelmässigen Sonntagsessen bei den Eltern, einem Studium, das mal mehr, mal weniger Spass macht. Und mit einem Nebenjob im Mürzzuschlager Jugendzentrum H.O.T. Dort beobachtet sie die Leute. "Alle sind irgendwo dabei: bei den Punks, den Schnösel oder wem auch immer. Und immer gibt es einen Anführer, der besonders cool ist. Demokratie und Eigenständigkeit - das ist manchmal gar nicht so leicht in einer Gruppe", grübelt Glory. Sie weiss, wovon sie spricht. "Es gibt keinen Menschenschlag der besonders sektengefährdet ist. Das kann jedem passieren. Auch mir." Harte Aussage. Wieso? "Die kommen doch nicht daher und sagen 'Wir sind eine böse Sekte und dein Gehirn gibst du jetzt für immer an der Garderobe ab.' - sondern sind einfach nette Leute. In Gruppen, die ganz langsam immer weniger Raum lassen für Demokratie und Eigenständigkeit."

Herr Müller von der Bundesstelle für Sektenfragen hatte Recht, Gloriett ist tatsächlich ein ganz besonderer Mensch.
 

Quelle:  WIENERIN Youngworld April 2002 ein Artikel von Amelie Znidaric
Vielen Dank an die Redaktion von Youngworld für die freundliche Abdruckerlaubnis.
Copyright des Textes bei Amelie Znidaric; HTML durch Ilse Hruby


Gloriett's Buch

"Reise durch Flut und Ebbe"
Mein Leben in der Mun-Sekte
Bestelladresse: 
Gloriett Halmdienst
Postfach 75
A-8660 Mürzzuschlag

"Reise durch Flut und Ebbe"
Mein Leben in der Mun-Sekte
ISBN 3-934601-47-2   € 14,--
in Vorbereitung zur Neuauflage durch den Verlag IKS Garamond
Leutragraben 1
D-07743 Jena

 
 

Pfarrer Thomas Gandow im Berliner Dialog 2-2000

"Mit ihrem ansprechend gestalteten Buch jenseits aller Schwarz-Weiss-Malerei über sich als Mitglied der "2. Generation" eröffnet Gloriett Halmdienst einen Einblick in das widersprüchliche Leben derer, die anders als ihre in der satanischen Welt aufgewachsenen Eltern, die Merkmale der alten Welt angeblich nicht mehr an sich tragen. Gloriett Halmdienst ist 1978 in New York geboren und lebt seit 1981 mit ihren Eltern in Österreich. Sie wuchs als "Gesegnetes Kind" auf. Ihre Zeit als Mitglied der Mun-Familie erlebte sie nicht nur negativ, doch ihre Zweifel bewogen sie, im Juni 1997 die Mun- Bewegung und auch ihre Familie zu verlassen. Seit Oktober 1997 studiert sie in Graz Jura und engagiert sich in der Sektenaufklärung. Wir werden auf dies erste deutschsprachige Buch einer Mun-Aussteigerin noch ausführlicher zu sprechen kommen und empfehlen es nach erstem Lesen dringend allen, die sich mit der Mun-Bewegung, dem Gespräch mit Mun-Mitgliedern und mit der Begleitung von Aussteigern der "2. Generation", gleich welcher Gruppe, befassen."  Thomas Gandow
 
 

Gloriett in einer Buchlesung am 7. November 2000

"Die Lesung besteht aus meiner persönlichen Sicht und Erzählung, wie mein Leben in der Sekte war. Dazu möchte ich betonen, dass dies keine Sektenhetze oder Opfergeschichte werden soll und damit sicherlich nichts für skandalgierige Menschen sein soll. Meine Eltern wurden durch ihren Messias San Myung Mun 1977 verheiratet, und ich wurde 1978 als "Gesegnetes Kind" in diese Gemeinschaft hineingeboren. Als wir dann von Amerika nach Österreich gezogen sind,- ich war damals 3 Jahre alt, - wurde ich in zwei Realitäten gross. Zum einen meine "Wahre Familie", wie sich die Mun-Gemeinschaft nennt, und zum anderen in der "normalen" Welt, Kindergarten, Schule und die Verwandtschaft meines Vaters. Als ich mich mit 18 Jahren weigerte, die Tradition meiner Familie fortzusetzen, nämlich meinen Ehepartner per Foto zu heiraten, der mir von Messias Mun ausgesucht werden sollte, und nicht an der Massenhochzeit im Jänner 1998 in Washington D.C. teilnahm, musste ich meine Familie und die Gemeinschaft verlassen. Es hat mich Monate gekostet, um zu verstehen, was mit mir geschehen ist, nicht nur, dass ich alles aufgeben musste, was ich bisher hatte, sondern auch ein neues Leben anzufangen. Meine Geschichte soll eine rationale Auseinandersetzung fördern und das Bewusstsein unserer Gesellschaft sensibilisieren!" Gloriett Halmdienst
 

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